Unterabschnitte


Zentralkräfte

Die wichtigsten Kräfte in der Natur sind Zentralkräfte, wie z.B. die Gravitationskraft oder die Coulombkraft. In einem Zentralkraftfeld ist die Kraft immer zum Kraftzentrum oder von diesem weg gerichtet. Das Kraftzentrum wird als Ursprung, $ r = 0,$ gewählt. Die Stärke der Kraft ist nur eine Funktion des Abstandes vom Zentrum:

$\displaystyle \vec F(\vec r) = f(r)   \frac{\vec r}{r}   .$ (51)

Wie bereits in §3.5.5 gezeigt worden ist, ist in einem Zentralfeld der Drehimpulsvektor $ \vec L$ eine Erhaltungsgröße; die Bewegung verläuft nur in der zu $ \vec L$ senkrechten Ebene; es existiert ein Potential und dieses ist sphärisch symmetrisch. Die Erhaltung der Energie und des Drehimpulses führen zu einer weitgehenden Reduktion des Problems, sodaß im Prinzip nur mehr zwei Quadraturen, d.h. zwei unbestimmte Integrale ausgeführt werden müssen, um die Bewegung vollständig zu kennen. Diese weitgehende Vereinfachung eines mechanischen Problems bei Vorliegen einer Zentralkraft ist der Anlaß, daß man auch bei anderen Kräften manchmal versucht, die nichtzentralen Kräfte durch eine Zentralkraft zu approximieren (z.B. in der Atomphysik ein Mehrelektronenproblem durch ein Einelektronenproblem mit abgeschirmtem Potential).

Der Fachausdruck ''Zentralkraft'' wird in der Literatur mit zwei nicht gleichwertigen Bedeutungen verwendet. In der neueren, z.B. Goldstein, wie auch in diesem Skriptum, bezeichnet er eine Kraft wie in Gl. (5.1); dies sichert die Erhaltung von Energie und Drehimpuls. In der älteren Literatur, z.B. Whittaker, wird jede Kraft, die radial gerichtet ist,

$\displaystyle \vec F \sim \vec r,
$

als Zentralkraft bezeichnet; dann gilt immer noch die Drehimpulserhaltung. Die Energie ist aber im allgemeinen nicht erhalten; in einem solchen Fall ist der unten dargelegte Lösungsformalismus nicht anwendbar.


Allgemeine Lösung des Zentralproblems mittels der Erhaltungssätze

Man zentriert das Koordinatensystem im Kraftzentrum $ r = 0.$ Die $ z$-Achse soll mit dem Drehimpulsvektor $ \vec L$ zusammenfallen. In der Bahnebene (= $ x,y$-Ebene) führt man Polarkoordinaten $ r,\varphi$ ein:

$\displaystyle x$ $\displaystyle =$ $\displaystyle r   \cos \varphi , \quad
\dot x  =  \dot r   \cos \varphi - r \dot \varphi   \sin \varphi,$  
$\displaystyle y  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle r   \sin \varphi , \quad
\dot y  =  \dot r   \sin \varphi + r \dot \varphi   \cos \varphi,$  
$\displaystyle z$ $\displaystyle \equiv$ $\displaystyle 0 , \hspace{1.25cm} \dot z  \equiv  0.$ (52)

Diese führt man in den Energiesatz, Gl. (3.30), ein

$\displaystyle m \frac{v^{2}}{2} + U(r) = \frac{m}{2} \left(\dot x^{2} +\dot y^{...
...(r) = \frac{m}{2} \left(\dot r^{2} + r^{2} \dot \varphi^{2}\right) + U(r) = E =$   const. (53)

und in den Drehimpulssatz, Gl. (3.36)
$\displaystyle \vec L$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec e_{z} L =$   const.  
$\displaystyle L$ $\displaystyle =$ $\displaystyle L_{z} = m   (x \dot y - \dot x y) = m r^{2} \dot \varphi = L =$   const. (54)

So erhält man zwei Differentialgleichungen erster Ordnung. Diese kann man im Prinzip durch Separation lösen. Hierzu wird Gl. (5.4) in (5.3) eingesetzt und letztere nach $ \dot r$ aufgelöst:

$\displaystyle \frac{m}{2} \left( \dot r^{2} + \frac{L^{2}}{m^{2} r^{2}} \right) + U(r) = E,$ (55)


$\displaystyle \dot{r}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \pm \sqrt{\frac{2(E-U)}{m} - \frac{L^{2}}{m^{2} r^{2}}} , \quad \Rightarrow \quad
\frac{dr}{\sqrt{\ldots}} = dt,$  
$\displaystyle t - t_{0}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \int_{r_{0}}^{r} \frac{dr}{\sqrt{\frac{2[E - U(r)]}{m} -
\frac{L^{2}}{m^{2} r^{2}}} }   := g(r,r_{0}).$ (56)

$ r_{0}$ und $ t_{0}$ sind Integrationskonstanten, ebenso wie unten $ \varphi_{0}$ . Gl. (5.6) enthält das erste Integral, das auszuführen ist. Ist dies getan, muß man $ g$ nach $ r$ auflösen, den so erhaltenen Ausdruck in Gl. (5.4) einsetzen:
$\displaystyle r$ $\displaystyle =$ $\displaystyle g^{-1}(t-t_{0},r_{0}),$  
$\displaystyle \dot \varphi$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{d \varphi}{dt} = \frac{L}{mr^{2}}
= \frac{L}{ m \left[ g^{-1}(t-t_{0},r_{0}) \right]^{2}},$  
$\displaystyle \varphi - \varphi_{0}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{L}{m} \int_{t_{0}}^{t}
\frac{dt}{\left[ g^{-1}(t - t_{0},r_{0}) \right]^{2} }   := h(t-t_{0},r_{0}).$ (57)

$ g^{-1}$ ist der zu $ g$ inverse Funktionsoperator. Gl. (5.7) enthält das zweite Integral, das man benötigt. Hat man es ausgeführt, dann hat man die Bahn vollständig bestimmt:

$\displaystyle r = g^{-1}(t-t_{0},r_{0}), \quad \varphi - \varphi_{0} = h(t-t_{0},r_{0}).
$

Die analytische Auswertung der beiden Integrale (5.6) und (5.7) und die Inversion von $ g$ können sehr schwierig oder sogar unmöglich sein. In manchen Fällen erhält man Integrale, die leichter auszuführen sind, wenn man von der Zeit $ t$ auf das Azimut $ \varphi$ als unabhängige Variable übergeht:

$\displaystyle r(t) \rightarrow r(\varphi), \quad \Rightarrow \quad \dot r = \frac{dr}{dt} = \frac{dr}{d\varphi} \frac{d \varphi}{dt} =   r'   \dot \varphi   .$ (58)

Die Zeitableitung $ \dot r$ im Energiesatz (5.3) wird gemäß der Kettenregel in Gl. (5.8) durch eine Ableitung nach $ \varphi$ ersetzt und $ \dot \varphi $ mittels des Drehimpulssatzes (5.4) eliminiert:
$\displaystyle \frac{m}{2}   (\dot r^{2} + r^{2} \dot \varphi^{2}) =
\frac{m}{2...
...{\varphi}^{2} (r'^{2} + r^{2}) =
(r'^{2} + r^{2})   \frac{L^{2}}{2mr^{4}}   ,$      
$\displaystyle \frac{L^{2}}{2m} \left[ \frac{r'^{2}}{r^{4}} + \frac{1}{r^{2}} \right]
+ U(r) = E =$   const.     (59)

Auch diese Gleichung wird durch Separation gelöst, nachdem man nach $ r'$ aufgelöst hat.
$\displaystyle r' = \frac{dr}{d \varphi} = \sqrt{...} , \quad \Rightarrow \quad
\frac{dr}{\sqrt{...}} = d \varphi,$      
$\displaystyle \varphi - \varphi_{0}
= \int_{r_{0}}^{r} \frac{dr}{\sqrt{\frac{2m[E -U(r)]r^{4}}{L^{2}} - r^{2}}}
: = \hat g(r,r_{0}).$     (510)

Dieses Integral liefert nach seiner Ausführung die Gestalt der Bahn, wobei das Azimuth $ \varphi$ als Funktion des Abstandes $ r$ gegeben ist. Inversion gibt den Abstand $ r = \hat g^{-1}(\varphi - \varphi_{0},r_{0})$ als Funktion von $ \varphi$. Dieser Ausdruck wird in den Drehimpulssatz (5.4) eingesetzt; man separiert, integriert
$\displaystyle \dot \varphi = \frac{d\varphi}{dt} = \frac{L}{mr^{2}}
= \frac{L}{m \left[ \hat g^{-1}(\varphi - \varphi_{0},r_{0}) \right]^{2}},$      
$\displaystyle t-t_{0} = \frac{m}{L} \int_{\varphi_{0}}^{\varphi}
d \varphi \lef...
...varphi - \varphi_{0},r_{0}) \right]^{2}
:= \hat h(\varphi - \varphi_{0},r_{0}),$     (511)

invertiert und hat die Bahn:

$\displaystyle \varphi - \varphi_{0} = \hat h^{-1}(t-t_{0},r_{0}), \quad
r = \ha...
...(\varphi - \varphi_{0},r_{0})
= \hat g^{-1}(\hat h^{-1}(t-t_{0},r_{0}),r_{0}).
$

Die analytische Durchführung der oben angeführten Operationen ist zum Teil schwierig, zum Teil überhaupt nicht möglich. Das Integral (5.10) kann für den harmonischen Oszillator (Potential $ V=m \omega^{2} r^{2}/2)$, das Keplerproblem $ (V=C/r)$ und das Potential $ V = D/r^{2}$ mit elementaren Funktionen ausgeführt werden. Das Integral (5.11) kann beim Keplerproblem ausgeführt, der resultierende Ausdruck aber nicht mehr analytisch invertiert werden. Für ungefähr 18 andere Zentralpotentiale kann das Integral (5.10) mittels elliptischer Integrale ausgeführt werden. (Goldstein [1], S. 80 - 86). Das Theorem von Newton (K8. Ü5) ermöglicht es, die bekannte Lösung für ein Kraftfeld $ F(r)$ zu benutzen, um auch den Fall zu lösen, wo zu $ F(r)$ noch eine zusätzliche Kraft $ D/r^{3}$ hinzukommt. Die numerische Auswertung der Integrale und der Inversionen bereitet auf einem Computer keine besonderen Probleme, wenn man beachtet, daß die Wurzel im Nenner an den Umkehrpunkten Null, das Integral also schwach singulär wird. Zweckmässiger ist es aber, die Newtonschen Bewegungsgleichungen in rechtwinkligen Koordinaten direkt durch numerische Integration (z.B. Runge-Kutta Verfahren, NDSolve[...] in Mathematica) zu lösen.

Wichtige Aussagen über die Bahn können bereits aus dem Energiesatz abgeleitet werden. Wir setzen $ L \neq 0$ voraus. Gl. (5.5) wird umgeschrieben:

$\displaystyle E = \frac{m \dot r^{2}}{2} + \tilde U(r)$   mit$\displaystyle \quad \tilde U(r) := U(r) + \frac{L^{2}}{2mr^{2}} .$ (512)

Der Fliehkraftterm $ L^{2}/2mr^{2}$ sieht auch wie ein Potential aus, er wird daher mit dem wahren Potential $ U(r)$ zum sogenannten Pseudo- oder Scheinpotential $ \tilde U(r)$ vereinigt. Aus (5.12) folgt nun:

$\displaystyle E - \tilde U(r) = m \dot r^{2} \geq 0 .$ (513)

Das Gleichheitszeichen gibt die Umkehrpunkte der Bahn; an ihnen hat der Abstand vom Zentrum maximalen oder minimalen Wert:

$\displaystyle E - \tilde U(r_{e}) = 0 .$ (514)

Abbildung: Allgemeine Aussagen über Bahnen abgeleitet aus dem Pseudopotential $ \tilde U.     U(r) = C/r^{\alpha},   \alpha = 0.7$. Bahn berechnet mittels numerischer Integration der Bewegungsgleichungen in Mathematica.
\includegraphics[scale=0.9]{k5_zentralpot}
Dies ist eine algebraische oder transzendente Gleichung zur Berechnung der maximalen und minimalen Bahnradien. Gl. (5.13) gibt Auskunft über den zulässigen Bereich des Radius $ r$. Wir setzen nun voraus, daß das Potential anziehend ist und ein definiertes Verhalten an den Grenzen hat:

$\displaystyle U(r) < 0, \quad \lim_{r \rightarrow \infty} U(r) = 0 ,\quad
\lim_{r \rightarrow 0} U(r) = \frac{C}{r^{\alpha}} ,   \alpha < 2 .
$

Die letzte Bedingung bewirkt, daß für kleine $ r$ der Fliehkraftterm dominiert und eine Annäherung bis an $ r = 0$ verhindert. Die Diskussion der Gl. (5.13) kann dann in graphischer Form erfolgen (s.Abb. 5.1). Das Zusammenwirken des abstoßenden Fliehkraftpotentials $ L^{2}/2mr^{2}$ und des anziehenden Potentials $ U(r)$ geben dem Pseudopotential $ \tilde U(r)$ das Aussehen einer Potentialmulde. Für Energiewerte $ E$ mit $ E_{Kreis} < E < 0$ ist das Teilchen in der Potentialmulde zwischen dem (von der Energie $ E$ abhängigen) Minimal-, Maximalwert $ r_{1}$ bzw. $ r_{2}$ eingesperrt. Die zugehörige Rosettenbahn erhält man natürlich erst durch (analytische oder numerische) Integration der Gl. (5.10) oder der Newtonschen Bewegungsgleichungen. Dem kleinstmöglichen Energiewert $ E_{Kreis}$ entspricht eine Kreisbahn $ r = r_{0}$. Für $ E > 0$ wird das Teilchen gestreut. Es kann sich dem Kraftzentrum nur bis zu $ r = r_{s}$ nähern. Bertrand hat bewiesen, daß für die erwähnten Potentiale $ C/r$ und $ D/r^{2}$ alle endlichen Bahnen geschlossen (und Ellipsen) sind (s. a. Landau, Lifschitz [2], §2.5.4).


Die Keplerbewegung

Bei der Keplerbewegung bewegt sich ein Massenpunkt unter dem Einfluß der Gravitations- oder Coulombkraft:

$\displaystyle \vec F = C \frac{\vec r}{r^{3}}$   mit$\displaystyle \quad C = - \gamma mM$   oder$\displaystyle \quad C = Z_{1} Z_{2} e^{2}$   bzw.$\displaystyle \quad C = \frac{Z_{1} Z_{2} e^{2}}{4 \pi \varepsilon_{0}} ,$ (515)

Abbildung 5.2: Kepler- und Coulombproblem
\includegraphics[scale=1]{k5_keplercoulomb}
deren Betrag dem reziproken Quadrat des Abstandes vom Zentrum proportional ist. Die Newtonsche Gravitationskraft wirkt zwischen zwei Massen $ M$ und $ m$, die Coulombsche Kraft zwischen zwei Ladungen $ Z_{1} e$ und $ Z_{2} e$ ($ e =$ Elementarladung $ = 4.8\cdot 10^{-10}$ cgs-Einh., bzw. $ 1.6 \cdot 10^{-19}$ Cb).

Einer der beiden Körper (im Falle der Planetenbewegung die Sonne, im Atom der Kern) ist sehr viel schwerer als der andere, sodaß dieser in guter Näherung als im Zentrum fixiert betrachtet werden kann; er erzeugt das Kraftfeld, in dem sich der leichtere (der Planet, das Elektron, das Alphateilchen bei der Rutherfordstreuung) bewegt (s. Abb. 5.2). Der Drehimpuls $ \vec L = m (\vec r \times \vec v)$ ist konstant, da $ \vec F$ Zentralkraft ist. Die Lösungen unterscheiden sich etwas, je nachdem, ob $ L = 0$ oder $ L \neq 0$ ist.

Bewegung auf einer Geraden durch das Kraftzentrum

Aus Gl. (5.12) wird:

$\displaystyle L = 0 \quad \Rightarrow \quad \dot \varphi = 0: \quad E = \frac{m}{2} \dot r^{2} + \frac{C}{r} =$   const.$\displaystyle , \quad T = \frac{m}{2} \dot r^{2} = E - \frac{C}{r} \geq 0.$ (516)

Die Bewegungsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Energiesatz (5.16): Die kinetische Energie darf nicht negativ sein, also auch nicht die rechte Seite der obigen Gleichung. Dies wird graphisch gezeigt. 1. Anziehung: $ C < 0$, z.B. Kern und Elektron, Massenanziehung (s. Abb. 5.3).

$\displaystyle T = E - U = E + \frac{\vert C\vert }{r} \stackrel{!}{\geq} 0 .
$

1.1 $ E \geq 0$: Hier ist die rechte Seite der obigen Gleichung immer positiv, die Bewegung ist keiner Beschränkung unterworfen:

$\displaystyle \dot r > 0 \enspace \Rightarrow \enspace r \rightarrow \enspace \infty,$   oder$\displaystyle \hspace{8mm}
\dot r \leq 0 \enspace \Rightarrow \enspace r \rightarrow \enspace 0.
$

1.2 $ E < 0$: Hier ist die rechte Seite der obigen Gleichung nur im Bereich $ 0 \leq r \leq r_{max} \enspace $ positiv, die Bewegung kann nur in diesem Intervall stattfinden: gebundener Zustand. Umkehrpunkt bei:

$\displaystyle \dot r(r=r_{max}) = 0,\quad r_{max} = \frac{C}{E} > 0.
$

2. Abstoßung, $ C > 0$, gleichnamige Ladungen (s.Abb. 5.4).

$\displaystyle T = E - U = E - \frac{C}{r} \stackrel{!}{\geq} 0.
$

Aus dem Energiesatz (5.16) folgt, daß nur $ E > 0$ möglich ist. Die rechte Seite obiger Gleichung ist positiv für $ r \geq r_{min}$. Umkehrpunkt:

$\displaystyle \dot r(r=r_{min}) = 0, \quad r_{min} = \frac{C}{E} > 0.
$

Abbildung: Bewegungsmöglichkeiten (gefärbter Bereich) bei Anziehung. (a) Negative Gesamtenergie, (b) positive Gesamtenergie
[] \includegraphics[scale=0.84]{k5_bewegmog_a} [] \includegraphics[scale=0.86]{k5_bewegmog_b}

Abbildung: Bewegungsmöglichkeit (gefärbter Bereich) bei Abstoßung
\includegraphics[scale=0.87]{k5_bewmog_abst}

Bewegung auf Kegelschnitten um das Kraftzentrum

Aus Gl. (5.5) folgt für das Coulombpotential $ U = C/r$:

$\displaystyle L  \neq 0: \qquad E  r^{2} - C r - \frac{L^{2}}{2m} = \frac{m\dot{r}^{2}r^{2}}{2} \enspace \geq  0.$ (517)

Für das Gleichheitszeichen in dieser Gleichung ergeben sich die Umkehrpunkte $ (\dot{r} = 0)$:
a) E = 0: reelle Werte für $   r   $ nur bei $ C < 0$ (Anziehung) möglich.

$\displaystyle r \geq r_{min} = \frac{L^2}{2m \vert C\vert} > 0.$ (518)

b) E $ \neq$ 0:

$\displaystyle r_{1,2} =\frac{C}{2E}   (1 \pm \sqrt{1 + \frac{2EL^2}{mC^2}}) = \frac{C}{2E} (1 \pm \varepsilon).$ (519)

$ \varepsilon $ ist hier eine Abkürzung für die Wurzel; unten wird sich zeigen, daß es die numerische Exzentrizität ist. Aus (5.18) und (5.19) ergeben sich die Umkehrpunkte (nur reelle Werte sind brauchbar), aus (5.17) der Variationsbereich von $ r$:

\begin{displaymath}\begin{array}{lccccclcl} 1. & C < 0: & & & & & & &  [1mm] 1...
...psilon)\frac{C}{2E} &=& r_{min} \leq r \leq \infty. \end{array}\end{displaymath} (520)

Wir berechnen die Bahnkurve nicht, indem wir die Integrale des § 5.1 ausführen, sondern wir geben 5 Integrale der Bewegung an und leiten daraus die Bahnkurve ab (vgl. Satz 1 von §3.5.6). Neben dem Drehimpuls $ \vec L$ und der Gesamtenergie $ E$ ist der Laplace-Lenzsche Vektor :

$\displaystyle \vec{A} := \frac{1}{C}(\dot{\vec r}\times \vec{L}) + \frac{\vec{r}}{r} =$   const. (521)

ein spezifisches Integral der Bewegung des Kraftfeldes (5.15). Dies beweist man, indem man die Bewegungsgleichung vektoriell mit dem Drehimpulsvektor $ \vec{L}$ multipliziert:

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccc} m \ddot{\vec r} & =& C r^{-3} \vec{r}  ...
...& = & \underline{-\frac{d(Cm   \vec{r}/r)}{dt}}\;. \end{array}\end{displaymath}    

Daraus folgt Gl. (5.21). Von den 7 Grössen $ \vec L, E, \vec A$ sind nur 5 unabhängig, weil sie durch 2 Relationen miteinander verknüpft sind. Die erste:

$\displaystyle (\vec A \cdot \vec L) = 0,
$

ergibt sich durch einfaches Ausrechnen. Die zweite ergibt sich durch Quadrieren der Gl. (5.21) und Anwendung der Vektorrelationen:

$\displaystyle (\vec{a} \times \vec{b})^{2} = a^2b^2 - (\vec{a} \cdot \vec{b})^{...
...{a} \cdot (\vec{b} \times \vec{c}) = (\vec{a} \times \vec{b}) \cdot
\vec{c}\;;
$

\begin{displaymath}
\begin{array}{ccccccc}
(mCA)^2 &=& m^2 (\dot{\vec r}\times ...
...{C}{r} \rbrack & + & m^2 C^2
= 2mL^2E & + & m^2C^2.
\end{array}\end{displaymath}

Die verbleibenden 5 unabhängigen Konstanten der Bewegung müssen gemäß Satz 1, §3.5.6, zur Bestimmung der Bahn genügen. Dazu bilden wir das innere Produkt des Radiusvektors $ \vec r$ mit dem Vektor $ \vec A$, Gl. (5.21), und lösen die unterstrichenen Teile der erhaltenen Gleichung nach $ r$ auf:

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccc} (\vec{r} \cdot \vec{A}) = \underline{rA ...
...} \times \vec{L}) + r & = & \underline{L^2/mC + r}. \end{array}\end{displaymath}    

Die unterstrichenen Terme geben die folgende Gleichung:

$\displaystyle r = \frac {-L^{2}/mC}{1-A \cos(\vec{r},\vec{A})}.$ (522)

Dieses Resultat wird mit der Formel für Kegelschnitte in Polarkoordinaten verglichen.

$\displaystyle r = \frac{p}{1-\varepsilon   \cos\varphi}.$ (523)

Hier bezeichnet $ p$ den Parameter; dieser hat mit dem Impuls (auch oft mit $ p$ bezeichnet) nichts zu tun. Der Betrag des Vektors $ \vec A$ ist gleich der numerischen Exzentrizität

$\displaystyle A = \varepsilon = \frac{e}{a} = \sqrt{1 + \frac{2L^2E}{mC^2}}.$ (524)

Der Vektor$ \vec A$ liegt in der Apsidenlinie, das ist jene Gerade, die vom sonnennächsten Punkt der Bahn (Perihel, Perizentrum) durch das Kraftzentrum, $ r = 0$ , läuft. $ \vec A$ gibt daher die Lage des Perihels und der $ a$-Achse des Kegelschnitts an. Dies ersieht man aus (5.22): $ r$ nimmt seine Extrema (dies entspricht den Perizentren und dem Apozentrum) für $ \vec{r}   \Vert \vec{A} $ an. $ \vec A$ weist vom Perihel weg für $ C < 0$ (Anziehung, Abb. 5.5(a)), zum Perihel für $ C > 0$ (Abstoßung, Abb. 5.5(b)); Tabelle (5.20) zeigt: bei $ C < 0$ ist $ r =$   Min. für $ \cos(\vec {r},\vec {A}) = -1$; für $ C > 0$ ist $ r =$   Min. für $ \cos(\vec r,\vec A) = 1$.
Abbildung: Bahnen im Kraftfeld $ C/r^{2}$. (a) $ C < 0$ (Anziehung), (b) $ C > 0$ (Abstoßung)
[] \includegraphics[scale=0.67]{k5_bahnimkraftfeld_anz} [] \includegraphics[scale=0.67]{k5_bahnimkraftfeld_abst}

$\displaystyle \mbox{\begin{tabular}{lcccccccc} 1. & $ C < 0$, && \multicolumn{5...
...&$ \pi+ \varphi'$,& Hyperbel, Kometenbahn,   &&&&&&&& Streuung \end{tabular}}$ (525)

In dieser Tabelle und den folgenden Formeln sind $ \varphi'$ und $ \varphi''$ folgende Abkürzungen:

$\displaystyle \varphi' = \arccos(1/\varepsilon), \qquad
\varphi'' = \arccos(-1/\varepsilon).
$

Bei Abstoßung ($ C > 0$) durchläuft der geladene Massenpunkt den anderen Zweig der Hyperbel. In Polarkoordinaten lautet dessen Gleichung:

$\displaystyle - r = \frac{p}{1 + \varepsilon   \cos \varphi}$ (526)

Das negative Vorzeichen vor $ r$ bedeutet, daß der radiale Strahl in entgegegesetzter Richtung zu verfolgen ist (s. Abb. 5.5(b)). Dann ergibt sich durch Vergleich obiger Gleichung mit Gl. (5.22):

$\displaystyle 2. \quad C > 0 ,\;\Rightarrow\; E > 0 , \quad \varepsilon > 1, \quad p = \frac{L^2}{mC} , \quad \varphi = \forall(\vec{r},-\vec{A}).$ (527)

Der Variationsbereich des Winkels $ \varphi$ ist dabei:

$\displaystyle \pi - \varphi'' \leq\varphi \leq \pi+ \varphi'' \quad {\rm  Hyperbel, Streuung}.$ (528)


Keplersche Gesetze

Aus obiger Lösung lassen sich die drei Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung ableiten, die J. Kepler empirisch aus Tycho Brahe's Sternbeobachtungen gefunden hat.

  1. Die Bahnen im Kraftfeld der Sonne (des Kernes) sind Kegelschnitte, in deren einem Brennpunkt die Sonne (der Kern) sitzt. Dies folgt aus Gl. (5.22).
  2. Der Flächensatz: Der Fahrstrahl von der Sonne zum Planeten überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Dies gilt in jedem Zentralkraftfeld und folgt aus dem Drehimpulssatz, s. (3.41).
  3. Für die Umlaufzeiten geschlossener Bahnen (Ellipsen) und deren große Halbachsen $ a$ gilt für alle Planeten

    $\displaystyle T^2 : a^3 =$   const.

    Beweis: Aus Gl. (5.23 ) erhält man:

    $\displaystyle r_{min} + r_{max} = \frac{p}{1+\varepsilon} + \frac{p}{1-\varepsilon} =
\frac{2p}{1-\varepsilon^2} = 2a ,
$

    $\displaystyle a(1-\varepsilon^2) = p = -\frac{L^2}{mC} .
$

Man verwendet den Flächensatz, Gl. (3.41), für einen ganzen Umlauf ( $ \Delta t = T$), d.h. für die ganze Ellipse (Fläche = $ ab\pi$):

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccc}
LT/2m & = & ab\pi = \pi a \sqrt{a^2 - e^...
...& = & -4\pi^2 m/C =
4\pi^2/\gamma M = \mbox{const.}
\end{array}\end{displaymath}      

Das Verhältnis $ T^2/a^3$ hängt nur von der Gravitationskonstante $ \gamma$ und der Zentralmasse $ M$ ab, nicht aber von den Daten der Planeten.


Rutherfordstreuung

Ein Teilchen (Projektil, Streuteilchen) (Masse $ m$, Ladungszahl $ Z_{2}$) wird an einem fixen Targetteilchen (mit Ladung $ Z_{1}$) gestreut; $ C > 0 \Rightarrow E > 0$; doch gilt das Resultat auch für $ C < 0$, wenn $ E > 0$ ist.
Die Berechnungen des vorgehenden Abschnittes erfolgten unter der Annahme, daß das streuende Teilchen fix ist; sie sind also nur verwendbar, wenn die Masse des Streukerns groß ist ($ M » m$). Das Streuteilchen kommt mit Geschwindigkeit $ v_{0}$ aus dem Unendlichen. Würde es keine Ablenkung erfahren, dann wäre seine Bahn eine Gerade, die vom Kern den Normalabstand $ p_{s}$ hätte; deshalb heißt $ p_{s}$ der Stoßparameter. Aufgrund seiner Ladung wird das Streuteilchen abgelenkt, es wird um den Winkel $ \vartheta $ gestreut (Abb. 5.5).

$\displaystyle \cot\frac{\vartheta}{2} = \frac{b}{a} = \sqrt{\varepsilon^{2} - 1} =
\sqrt{\frac{2 L^{2}E}{mC^{2}}}
= \frac{L}{\vert C \vert} \sqrt{\frac{2 E}{m}}
$

. Gesamtenergie $ E$ und Drehimpuls $ \vec L$ werden aus den Anfangsdaten im Unendlichen bestimmt:

\begin{displaymath}
\begin{array}{cccccccc}
r = \infty : & \vec v & = & \vec{v_{...
...p_{s}} \times \vec{v_{0}},  L = m p_{s} v_{0}   .
\end{array}\end{displaymath}

Einsetzen der Resultate dieser beiden Zeilen in die obige Formel für den Streuwinkel gibt mit $ C = e^2 Z_1 Z_2 / 4 \pi \varepsilon_0 $ den folgenden Zusammenhang zwischen dem Streuwinkel $ \vartheta $ und dem Stoßparamter $ p_{s}$ :

$\displaystyle p_{s} = \frac {\vert Z_{1} Z_{2} e^{2} / 4 \pi \varepsilon_0 \ver...
...Z_{2} e^{2} / 4 \pi \varepsilon_0 \vert}{2 T_{0}} \cot \frac{\vartheta}{2}   .$ (529)

Rutherford verwendete für seine Streuexperimente $ \alpha $-Teilchen (Masse $ m, Z_{2} = 2$), die von einem radioaktiven Kern (Thorium C) mit der kinetischen Energie $ T_{0}$ emittiert werden. Damit wird aus obiger Formel:

$\displaystyle p_{s} = \frac{Z e^{2} / 4 \pi \varepsilon_0 }{m   v^{2}_{0}/2} \...
...2} = \frac{Z e^{2} / 4 \pi \varepsilon_0 }{T_{0}} \cot \frac{\vartheta}{2}   .$ (530)

Der Satz von Gauß

Der Satz von Gauß besagt: Die Kraft auf eine Punktmasse $ m$ (bzw. Punktladung $ q$) im Innern einer homogen mit Masse (Ladung) belegten Kugelschale ist Null.
Im nachfolgenden Beweis sieht man, daß der Satz nur gilt für Kräfte, die ein Abstandsverhalten wie $ 1/r^{2}$ haben.
Beweis: Die Massendichte auf der Kugelschale ist:

$\displaystyle \sigma = \frac{dM}{S} = \frac{dM}{4\pi  R^{2}}$ (531)

($ dM$ = Gesamtmasse, $ S$ = Oberfläche der Kugelschale.) Die Beträge der Kräfte $ F_{1}$ bzw. $ F_{2}$ der Oberflächenelemente $ dS_{1}$ bzw. $ dS_{2}$ auf $ m$ sind nach dem Newtonschen Attraktionsgesetz (5.15):

$\displaystyle F_{1} = m   \frac{dS_{1}}{r^{2}_{1}}, \quad F_{2} = m   \frac{dS_{2}}{r^{2}_{2}}.$ (532)

Die einander gegenüberliegenden Oberflächenelemente $ dS_{1}, dS_{2}$ werden durch den beiderseits gleich großen Raumwinkel $ d \Omega $ ausgedrückt (Abb. 5.6(a)):

$\displaystyle dS_{1} = r^{2}_{1}   d\Omega , \quad dS_{2} = r^{2}_{2}   d\Omega   .$ (533)

Damit wird $ F_{1} = F_{2}$ ! Die Kräfte haben entgegengesetzte Richtung, ihre Resultierende ist Null, daher auch das Integral über die ganze Kugeloberfläche. Das gleiche Resultat erhält man auch für eine homogene elektrische Oberflächenladung mittels des Coulombschen Gesetzes.

Abbildung: a) Oberflächenelemente und Raumwinkel. b) Integration über die Kugelschale
[] \includegraphics[scale=0.84]{k5_oberfl_raumw} [] \includegraphics[scale=0.86]{k5_kugelschale}

Die Kraft auf die Punktmasse $ m$ , die von der auf der Schale homogen verteilten Masse $ dM$ ausgeübt wird, ist identisch mit der Kraft, die bei Abwesenheit der Flächenbelegung $ \sigma $ eine Punktmasse $ dM$ ausübt, die im Mittelpunkt der Schale angebracht ist. Dazu wird gezeigt, daß das Potential einer Masse $ dM$ (einer Ladung $ dQ$), die über eine Kugelschale $ S'$ vom Radius $ r'$ homogen verteilt ist, Gl. (5.31), dasselbe ist wie das einer Punktmasse $ dM$ (einer Punktladung $ dQ$), die sich im Mittelpunkt $ r = 0$ der Kugelschale $ S'$ befindet. Zunächst wird das Potential $ \Phi_{s}$ im Punkt $ r > r'$, das von einer mit der Massendichte $ \sigma $ belegten Kugelzone erzeugt wird, berechnet (Abb. 5.6(b)):

$\displaystyle d\Phi_{s} = - \gamma m \sigma   \frac{dS'}{R}$ (534)

mit

$\displaystyle dS' = 2\pi   r'^{2} \sin \vartheta'  d\vartheta'
$

und (Kosinussatz, s.Abb. 5.6b)

$\displaystyle R = [r^{2} - 2rr'   \cos \vartheta' + r'^{2}]^{\frac{1}{2}}.
$

Integration über die ganze Kugelschale gibt das nachfolgend angegebene Potential $ \Phi_{s}$. Zur Ausführung der Integration wird $ R$ als neue Integrationsvariable eingeführt.

$\displaystyle dR = [r^{2} - 2rr'   \cos \vartheta' + r'^{2}]^{-\frac{1}{2}}  ...
...sin\vartheta'  
d\vartheta' = rr'   \sin\vartheta'   \frac{d\vartheta'}{R},
$


$\displaystyle \Phi_{s}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \frac{\gamma m   dM}{2} \int_{0}^{\pi} \sin \vartheta'  
\fra...
...'}{R}
= - \frac{\gamma m   dM}{2rr'} \int_{\vartheta'=0}^{\vartheta'=\pi} dR =$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle - \frac{\gamma m   dM}{2rr'} R \bigg\vert _{\vartheta'=0}^{\vartheta'=\pi} =
- \frac{\gamma m   dM}{r}.$ (535)

Im Inneren der Schale vom Radius $ r'$ ist die Kraft Null, daher das Potential konstant. Diese Konstante wird so gewählt, daß die potentielle Energie stetig ist :

$\displaystyle \Phi_{s}(r)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \gamma m   \frac{dM}{r}$   $\displaystyle \quad r \geq r',$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle - \gamma m   \frac{dM}{r'} =$   const.   $\displaystyle \quad r \leq r'.$ (536)

Für die Kraft auf die Punktmasse $ m$ gilt gemäß dem vorher Gesagten:
$\displaystyle \vec{F}_{s}(r)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \gamma m   dM \frac{\vec{r}}{r^{3}}$   $\displaystyle \quad
r > r',$  
  $\displaystyle =$ 0   $\displaystyle \quad r < r'.$ (537)

Für eine Punktladung $ q$ im Äußeren bzw. Inneren einer Schale vom Radius $ r'$, auf der eine Ladung $ dQ$ homogen verschmiert ist, muß in Gln. (5.36) und (5.37) $ - \gamma m   dM$ ersetzt werden durch $ q   dQ$ (cgs-Einheiten) bzw. $ q   dQ/(4\pi \varepsilon_{0})$ (MKSA-Einheiten).

Dieser Sachverhalt führt zu einer großen Vereinfachung der Behandlung der Bewegung von Punktmassen (oder Punktladungen) im Inneren von radialsymmetrischen Massen- (oder Ladungsverteilungen). Denn aus dem Gaußschen Satz folgt: Befindet sich eine Punktmasse $ m$ (Punktladung $ q$) im Inneren einer radialsymmetrischen Massen-(Ladungs-)verteilung im Abstand $ r$ vom Symmetriezentrum, dann übt der außerhalb $ r$ gelegene Anteil der Verteilung keine Kraft auf $ m$ ($ q$) aus. Daher wirkt auf $ m$ ($ q$) nur der innerhalb von $ r$ gelegene Anteil der Massen-(Ladungs-)verteilung; dieser kann so berücksichtigt werden als wenn er im Symmetriezentrum angebracht wäre. Bei der Berechnung des Potentials muß aber darauf geachtet werden, daß der außerhalb $ r$ liegende Anteil der Massenverteilung einen Beitrag zum Potential liefert. Mit diesen Überlegungen läßt sich die potentielle Energie einer Punktmasse $ m$ (einer Punktladung $ q$) im Inneren und Äußeren einer sphärischen Massenverteilung $ \rho (r)$ berechnen. Die Gesamtmasse $ M$ beträgt:

$\displaystyle M := \int\!\!\!\int\!\!\!\int \rho (r')   dV'
= 4 \pi \int_{r'=0}^{\infty}   \rho(r')   r'^{2}   dr'.
$

Die Massendichte $ \rho (r)$ muß für $ r \rightarrow \infty $ hinreichend stark verschwinden, damit das obige Integral existiert. Ist die Massendichte nur in einem endlichen Raumgebiet von Null verschieden, z.B.

$\displaystyle \rho (r) = 0$   $\displaystyle \quad r > a,
$

dann ist im Äußeren die potentielle Energie der Punktmasse $ m$ gegeben durch:

$\displaystyle \Phi_{K} (r) = - \gamma m \frac{M}{r}$   $\displaystyle \quad r \geq a.$ (538)

Befindet sich $ m$ im Inneren der Massenverteilung, und zwar im Abstand $ r$ vom Zentrum $ r = 0$ der sphärischen Verteilung, dann müssen die Beiträge, die vom inneren Anteil $ r' < r$ und vom äußeren Anteil $ r' > r$ der Massendichte stammen, wegen Gl. (5.36) gesondert behandelt werden:
$\displaystyle r < a: \enspace \Phi_{K}(r)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \int_{0}^{r} \Phi_{s}(r > r')
+ \int_{r}^{a} \Phi_{s}(r < r')$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle - \frac{\gamma m}{r} \int_{0}^{r} \rho(r')   4 \pi   r'^{2}   dr'
- \gamma m \int_{r}^{a} \frac{\rho (r')}{r'}   4 \pi r'^{2}   dr'$  
$\displaystyle \Phi_{K}(r)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \gamma m \int_{0}^{a} G(r,r')   \rho(r')   dV'$ (539)

Die beiden Integrale der vorletzten Zeile wurden in der letzten zu einem zusammengefaßt unter Einführung der Greenschen Funktion
$\displaystyle G(r,r') = \frac{1}{r_{>}}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{1}{r}$   $\displaystyle \quad r \geq r',$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{1}{r'}$   $\displaystyle \quad r \leq r'.$ (540)

$ r$ heißt die Aufpunktskoordinate; sie bezeichnet den Ort, an dem sich die Punktmasse $ m$ befindet. $ r'$ ist die Quellpunktskoordinate; sie gibt die Lage des Volumselements der Quellverteilung (hier einer Kugelschale der Dicke $ dr'$) an; über sie wird integriert, um die Beiträge der gesamten Massenverteilung in ihrer Wirkung auf $ m$ zu erfassen. Die Greensche Funktion wird durch zwei verschiedene Funktionsoperatoren beschrieben, ist aber stetig. Gleichungen (5.39) und (5.40) gelten auch für $ r \geq a$ und liefern dann als Resultat Gl. (5.38).

Für eine sphärische Ladungsverteilung $ \rho (r)$ ist in den obigen Formeln $ - \gamma m$ durch die Ladung $ q$ (cgs-Einheiten) bzw. $ q/(4 \pi \varepsilon_{0})$ (MKSA-Einheiten) zu ersetzen.

Obige Formeln (5.39) und(5.40) gelten nur für sphärisch symmetrische Massen- oder Ladungsverteilungen. Der Vollständigkeit halber werden - ohne Beweis - die zu den eben genannten entsprechenden Formeln für den allgemeinen Fall angegeben. In diesem ist eine Massen- oder Ladungsverteilung $ \rho(r',\vartheta',\varphi')$ gegeben. Die Gesamtmasse $ M$ (analog dazu die Gesamtladung $ Q$) ist durch das folgende Integral definiert:

$\displaystyle M  =  \int\int\int \rho(r',\vartheta',\varphi')  dV'  = \
\i...
...eta'  \sin\vartheta' \int_0^{2\pi} d\varphi'
 \rho(r',\vartheta',\varphi') .
$

Das Potential an einem Punkt mit den sphärischen Koordinaten $ (r,\vartheta,\varphi)$ ist dann gegeben durch

$\displaystyle \Phi_K(r,\vartheta,\varphi)  =  -  \gamma m \
\int_0^\infty r...
...,\vartheta,\varphi ; r',\vartheta',\varphi')
 \rho(r',\vartheta',\varphi') .
$

Die zugehörige Greensche Funktion $ G(r,\vartheta,\varphi ;
r',\vartheta',\varphi') $ ist gegeben durch:

$\displaystyle G(r,\vartheta,\varphi ; r',\vartheta',\varphi')  =  \frac{1}{4 ...
...=  \vert\vec{r} - \vec{r}'\vert  =  \sqrt{r^2 + 2 r r' \cos\Theta + r'^{2}}
$

ist der Abstand zwischen dem Aufpunkt $ \vec{r} $ und dem Quellpunkt $ \vec{r}{ '}$ . Er hängt auch von $ \vartheta $, $ \varphi$, $ \vartheta'$ und $ \varphi'$ ab, weil der Raumwinkel $ \Theta$ zwischen diesen beiden Vektoren von diesen Variablen abhängt:

$\displaystyle \cos\Theta  =  \frac{( \vec{r} \cdot \vec{r}{ '})}{\vert \vec{...
...\cos\vartheta'  +  \sin\vartheta  \sin\vartheta' \cos(\varphi - \varphi') .
$

Für $ 1/R$, wie es in der obigen Greenschen Funktion vorkommt, gibt es folgende Reihenentwicklung:

$\displaystyle \frac{1}{R}  =  \sum_{\ell=0}^\infty \frac{r_<^\ell}{r_>^{\ell+...
...ll}^\ell  Y_{\ell,m}(\vartheta,\varphi)  Y_{\ell,m}^*(\vartheta',\varphi') .
$

$ P_\ell$ ist das Legendre-Polynom der Ordnung $ \ell$. $ Y_{\ell,m}$ sind die Kugelflächenfunktionen. Alle diese Funktionen werden in der Vorlesung ''Spezielle Funktionen'' behandelt.

Streuung an einem fixen Zentrum und Wirkungsquerschnitt

Eine wichtige Methode um Informationen über ein Objekt das nicht greifbar ist (z.B. weil es unerreichbar weit weg ist oder seine Groesse unter der Auflösung eines Mikroskops liegt), ist die Streuung. Bei einem elastischen Streuvorgang werden Teilchen (oder Wellen) auf eine das Untersuchungsobjekt geschossen und die abgelenkten Teilchen (oder Wellen) werden nach Zahl (oder Intensität) und Richtung registriert. Ein einfaches Beispiel ist die elastische Streuung an einer Kugel, s. die Simulation in K5StreuungAnKugel.nb. Die Streuung geladener Teilchen an einem fixen punktförmigen Kern ist in K5RutherfordScatt.nb simuliert.
In §5.2.4 wurde die Streuung (E. scattering) eines geladenen Teilchens, insbesondere eines $ \alpha $-Teilchens, an einem fixen Kern mit der Ladung $ Ze$ behandelt und der Streuwinkel $ \vartheta $ als Funktion des Stoßparameters (E. impact parameter) $ p_{s}$ berechnet, Gl. (5.29). In diesem Paragraph wird der Stoßparamter mit dem Buchstaben $ p$ bezeichnet. Diese mikroskopische Betrachtungsweise ist in Abb. 5.7(b) dargestellt: Ein Teilchen, dessen Stoßparameter zwischen $ p$ und $ p + \Delta p$ liegt, läuft ein und wird in den Streukegel zwischen $ \vartheta $ und $ \vartheta + \Delta \vartheta$ abgelenkt. Es ist nicht möglich, eine derartige detaillierte Messung durchzuführen. Beim realen Experiment, Abb. 5.7(a), wird ein dünner Strahl von $ \alpha $-Teilchen auf eine Folie des zu untersuchenden Elements (das Target = Ziel) geschossen, an irgendeinem Kern in den Kegel zwischen $ \vartheta $ und $ \vartheta + \Delta \vartheta$ abgelenkt und trifft auf den Leuchtschirm in der zugehörigen Zone der Fläche $ \Delta S$. Man muß mit einer großen Zahl von $ \alpha $-Teilchen und Atomkernen (=Streuzentren) arbeiten. Die Parameter des einzelnen Vorganges sind nicht beobachtbar; statistische Überlegungen ersetzen dann die Unkenntnis des Einzelvorganges. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des Wirkungsquerschnitts (E. cross section) eingeführt.

Abbildung 5.7: Streuung makroskopisch (a) und mikroskopisch (b) betrachtet
[] \includegraphics[scale=0.7]{k5_streumakro} [] \includegraphics[scale=0.7]{k5_streumikro}

Der Wirkungsquerschnitt

Der Wirkungsquerschnitt $ \sigma $ ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Ereignissses (z.B. Neutroneneinfang, durch Neutronen induzierte Kernspaltung, Streuung von Teilchen,...). Man stellt sich vor, daß jeder Atomkern einem einfallenden Teilchenstrom eine effektive Fläche (meist gemessen in barn, 1 b = $ 10^{-24}$ cm$ ^{2}$) entgegensetzt, sodaß, wenn ein Teilchen innerhalb dieser Fläche auftrifft oder durch diese fliegt, eine bestimmte Reaktion auftritt. Der Wirkungsquerschnitt gilt dann für diese Reaktion.

Bei vielen Vorgängen, gerade auch bei der Streuung, wird das aus Richtung $ \vec{n}$ einlaufende Teilchen in Richtung $ \vec{n}{ '}$ abgelenkt. Mit diesem Vorgang wird der differentielle Wirkungsquerschnitt(E.: differential cross section) verknüpft. Wenn man nur daran interessiert ist, ob die Reaktion überhaupt stattfindet, dann wird über alle Raumrichtungen integriert; man spricht vom totalen oder integralen Wirkungsquerschnitt (E.: total cross section).

Der eben beschriebene Sachverhalt wird nun in Formeln ausgedrückt. In der mikroskopischen Betrachtungsweise wird die Streuung an einem fixen Streukern (= Atom) betrachtet. Auf diesen strömt ein Strahl von Teilchen mit der homogenen Stromdichte $ I_{ein}$; die Strahlrichtung ist durch den Einheitsvektor $ \vec{n}$ gegeben. Die Teilchen, die das durch die Koordinaten $ p$ und $ \alpha $ bestimmte Flächenelement $ d \sigma = p  dp  d \alpha $ durchqueren, werden in das Raumwinkelelement $ d \Omega = \sin \vartheta  d \vartheta  d \varphi $ gestreut; diese lieferen den differentiellen Streustrom $ dI_s$. Das Raumwinkelelement ist ein pyramidenähnliches Gebilde mit der durch die Winkel $ \vartheta $ und $ \varphi$ bestimmten Achse $ \vec{n}{ '}$ . Die Maßeinheit des einfallenden Stromes, $ I_{ein}$, ist Teilchen/m$ ^2$/sec; die des Streustroms, $ dI_s$, ist Teilchen/sec (da der Raumwinkel dimensionslos ist):

$\displaystyle [ I_{ein} ]  =  $   m$\displaystyle ^{-2}$   sec$\displaystyle ^{-1} ; \qquad [ dI_s ]  =  $   sec$\displaystyle ^{-1}  .
$

Im allgemeinsten Fall ist der Streuer nicht kugel- oder achsialsymmetrisch, dann erfährt das Streuteilchen auch eine Ablenkung in azimuthaler Richtung, $ \alpha $ und $ \phi $ sind daher verschieden. Der differentielle Wirkungsquerschnitt $ {d \sigma }/{d \Omega} $ ist dann gegeben durch:

$\displaystyle d \sigma  =  \frac{d \sigma}{d \Omega}  {d \Omega}  =  \frac...
...\Omega}  \sin \vartheta  d \vartheta  d \varphi  =  \frac{dI_s}{I_{ein}} .$ (541)

Der integrale Wirkungsquerschnitt ist dann:

$\displaystyle \sigma  =  \int^{\pi}_{\vartheta=0}  \int^{2\pi}_{\varphi=0}  \frac{d \sigma}{d \Omega}  {d \Omega}  .$ (542)

Abbildung: Die Eintrittsfläche $ d \sigma $ und der Auslaufkegel $ d \Omega $.
\includegraphics[scale=1]{k5_streuung3d}
Im realen Experiment durchquert der Teilchenstrahl eine Folie der Dicke $ t$ und schneidet auf dieser eine Fläche $ A$ aus. Während der Beobachtungszeit fallen $ N$ Teilchen auf das Target; der einfallende Strom ist also:

$\displaystyle I_{ein}  =  N/A.
$

Von den einlaufenden Teilchen werden während des selben Zeitintervalles $ \Delta N $ Teilchen in das Raumwinkelelement $ d \Omega $ um $ \vec{n}{ '}$ gestreut und treffen auf eine Zone $ \Delta S = r^2 d \Omega $ des kugelförmigen Leuchtschirms. Die Folie muß so dünn sein, daß jedes einlaufende Teilchen höchstens von einem Atom(kern) des Targetmaterials gestreut wird. Im vom Strahl durchquerten Volumen des Targets befinden sich $ N_0 = n_0 A t$ Streuer; $ n_0$ ist die Dichte der streuenden Atome. Der Wirkungsquerschnitt ist auf das einzelne Atom bezogen. Daher muß die Zahl der gestreuten Teilchen durch die Zahl der streuenden dividiert werden. Dies gibt für den differentiellen Wirkungsquerschnitt:

$\displaystyle \frac{d \sigma}{d \Omega}  \Delta \Omega  =  \frac{\Delta N/(n_0 A t)}{N/A}  =  \frac{\Delta N}{N} \frac{1}{n_0 t}.$ (543)

Die rechte Seite dieser Gleichung enthält nur makroskopische Größen, die aus Messungen bestimmt werden können.

Bei den hier betrachteten Problemen ist der Strahl homogen. Die Streuer sind sphärisch symmetrisch. Es gibt daher keine Abhängigkeit von den Azimuthwinkeln $ \varphi$ bzw. $ \alpha $. Es kann über diese Winkel integriert werden. Dann wird $ d \sigma $ ein ringförmiges Flächenelement und $ d \Omega $ ein Hohlkegel (s. Abb. 5.7):

$\displaystyle {d \sigma}  =  2 \pi p  dp; \qquad d \Omega  =  2 \pi  \sin...
...artheta  =  4 \pi  \sin (\vartheta/2)  \cos (\vartheta/2)  d \vartheta  .$ (544)

Damit ergibt sich für den differentiellen Wirkungsquerschnitt:

$\displaystyle \frac{d \sigma}{d \Omega}  =  \bigg\vert \frac{p  dp}{\sin \va...
...  =  \bigg\vert \frac{p}{\sin \vartheta}\frac{dp}{d \vartheta} \bigg\vert  .$ (545)

Die Striche für den Absolutbetrag wurden eingefügt, weil in vielen Fällen die Ableitung $ dp/d \vartheta$ negativ ist (nämlich dann,wenn der Streuwinkel $ \vartheta $ mit zunehmendem Stoßparameter $ p$ abnimmt), der Wirkungsquerschnitt aber positiv sein muß.

Zur Berechnung des Wirkungsquerschnitts wird noch eine Beziehung zwischen dem Flächenelement $ d \sigma $ und dem Raumwinkelelement $ d \Omega $ benötigt, bzw. zwischen dem Stoßparameter $ p$ und dem Streuwinkel $ \vartheta $. Diese findet man, indem man die Bahn in dem vorgegebenen Kraftfeld als Funktion des Stoßparameters berechnet. Dies ist die Stelle, an der die Eigenschaften des tatsächlichen oder angenommenen Kraftfeldes in den Wirkungsquerschnitt eingehen.

Rutherfordstreuung

Die Lösung des Keplerproblems für die Streuung eines Teilchens der Masse $ m$ und der Ladung $ Z_{2} e$ an einem fixen Kern der Ladung $ Z_{1} e$ gibt folgende Beziehung zwischen dem Streuwinkel $ \vartheta $ und Stoßparamter $ p$, Gl. (5.29):

$\displaystyle p  =  \frac{Z_{1} Z_{2} e^{2}}{4 \pi \varepsilon_0  m v_{0}^{2...
...{4 \pi \varepsilon_0  m v_{0}^{2}}   \frac{1}{\sin^{2} \frac{\vartheta}{2}} .$ (546)

Abbildung: Streuung einer punktförmigen Ladung an einem fixen punktförmigen Kern für verschiedene Werte des Stoßparameters; der Kern ist unsichtbar klein im Koordinatenursprung. Links: Beide Ladungen haben verschiedenes Vorzeichen. Rechts: Abstoßung ungleichnamiger Ladungen.
\includegraphics[width=16cm]{k5_streu_punkt_lad}

Die Streubahnen für verschiedene Werte des Stoßparameters sind in Abb. 5.9 dargestellt. Obwohl die Streubahnen in ihrem Verlauf um den Kern unterschiedliches Aussehen haben - je nach dem Produkt der Vorzeichen der beiden Ladungen, - erhält man für den Wirkungsquerschnitt in beiden Fällen das gleiche Resultat. Obige Beziehung zwischen Stoßparameter $ p$ und Streuwinkel $ \vartheta $ ist in Abb. 5.10(a) gezeigt. Setzt man diese Ausdrücke und Gl. (5.44) in Gl. (5.45) ein, ergibt sich für die Streuung des oben angeführten Streuteilchens an einem fixen Kern mit Ladung $ Z_{2} e$ der differentielle Wirkungsquerschnitt

$\displaystyle \frac{d \sigma}{d \Omega}  =  \left( \frac{Z_{1} Z_{2} e^{2}}{4...
...epsilon_0  2 m v_{0}^{2}} \right)^{2}  \frac{1}{\sin^{4}\frac{\vartheta}{2}}.$ (547)

Dieser ist in Abb. 5.10(b) gezeichnet.

Das obige Resultat führt bei der Berechnung des integralen Wirkungsquerschnitts, wie er in Gl. (5.42) definiert ist, zu einer Schrwierigkeit. Der Integrand von

$\displaystyle \int_0^\pi \frac{d\sigma}{d\Omega}  d\Omega  = \
\left( \frac{...
...i  \frac{1}{\sin^{4}\frac{\vartheta}{2}}  2 \pi  \sin\vartheta  d\vartheta
$

ist singulär für kleine $ \vartheta $, also für Teilchen mit sehr großem Stoßparameter $ p$. Für solche Werte versagt das verwendete Modell, in dem nur ein Streuer, dessen Kraft bis ins Unendliche reicht, in Betracht gezogen wird. Im Target sind ja viele Atome; deswegen kann sich der Wert des Stoßparameters nur bis zu einem endlichen Wert erstrecken, der durch den Abstand zwischen den Atomen (z.B. die Gitterkonstante bei einem Kristall) festgelegt ist.

Abbildung: a) Der Streuwinkel $ \vartheta $ als Funktion des Stoßparameters $ p$ bei Streuung an einem Punktteilchen (der Wert von R spielt hier keine Rolle). Der Parameter der Kurven, $ \epsilon = (2T)/(E_p),   E_p = Z_1 Z_2 e^2/(4 \pi
\varepsilon_0 R)$, ist das Verhältnis 2 x kinetische Energie des Teilchens im Unendlichen dividiert durch die potentielle Energie des Teilchen im Abstand R vom Kern. b) Der differentielle Wirkungsquerschnitt. Man beachte die logarithmische Skala der Ordinate.
[] \includegraphics[scale=0.63]{k5_streuwink} [] \includegraphics[scale=0.63]{k5_diff_wirk}

Den integralen Wirkungsquerschnitt $ \sigma $ kann man aus folgender Überlegung erhalten (Voraussetzung ist, daß sich die Wirkungsbereiche der Kerne nicht gegenseitig überdecken, also müssen die Targets hinreichend dünn sein): $ N_s = n_{0} At$ ist die Anzahl der Streuer in dem Bereich des Targets, auf den der Strahl mit Querchnitt $ A$ fällt; $ t$ ist die Dicke der Targetfolie. $ N_s$ geteilt durch die Fläche des Strahls gibt die Fläche, die der einzelne Streuer (hier der Atomkern über sein elektrisches Feld) den in seinen Bereich eindringenden Teilchen des Strahls darbietet; dies ist der gesuchte integrale Wirkungsquerschnitt: $ \sigma  =  N_s/A  =  n_0 At/A  = \
1/(n_{0}t)$.

Ein anderes Modell besteht darin, daß die Abschirmung durch die Elektronenhülle berücksichtigt wird. Dann ist die Reichweite der Kraft der Kernladung begrenzt. Dies wird in einer Übung behandelt.
Beobachtet wird eine Streuung in den Raumwinkelbereich $ \Delta\Omega = \Delta S/r^{2}$ (hier ist angenommen, daß der Leuchtschirm eine Kugel vom Radius $ r$ ist; eine andere Gestalt desselben erfordert Korrekturen). Dann ergibt sich aus Gl. (5.43) die Wahrscheinlichkeit für Streuung von Teilchen in den Bereich $ \Delta\Omega$:

$\displaystyle w(\Omega)   \Delta \Omega = \frac{\Delta N(\vartheta)}{N} = (n_{0} t)  \frac{d \sigma}{d \Omega}   \frac{\Delta S}{r^{2}}.$ (548)

Nach obiger Ableitung (bei der vorausgesetzt worden ist, daß der Kern punktförmig und von einem Coulombfeld umgeben ist) muß bei konstanten Versuchs- und Beobachtungsbedingungen die Anzahl der pro Flächeneinheit auf $ \Delta S$ auftreffenden $ \alpha $-Teilchen umgekehrt proportional der vierten Potenz des halben Streuwinkels sein.

$\displaystyle \frac{\Delta N(\vartheta)}{\Delta S} \sim  \frac{d \sigma}{d \Omega} \sim \frac{1}{\sin^{4}\frac{\vartheta}{2}}$ (549)

Da der Leuchtschirm beim Auftreffen der $ \alpha $-Teilchen aufblitzt (Szintillationen), kann diese Zahl ausgezählt werden. Das Experiment zeigt die Gültigkeit obiger Formel.

Aus Abweichungen bei Rückstreuungen konnte man auf die Größenordung des Kernradius schließen und fand $ \sim 10^{-15}  m$. Dieser kleine Wert vermag die scharfen Knicke mancher Spuren von $ \alpha $-Teilchen in Nebelkammern erklären. Durch gleichzeitige Messung von $ \frac{\Delta N}{\Delta S}$ und $ N$ konnte aus Gl. (5.48) und Gl. (5.47) die Kernladungszahl $ Z = Z_2$ bestimmt werden. Es ergab sich, daß diese gleich der Ordnungszahl des Elements im Periodensystem war (van der Brook (1912)).




Ergänzende Literatur zu diesem Paragraphen:

R.E. Johnson: Introduction to Atomic and Molecular Collissions. Plenum Press (1982).

Christian Sommer 2003-01-27