Unterabschnitte


Systeme von Massenpunkten

Bisher ist nur die Bewegung eines einzelnen Massenpunktes im Felde äußerer Kräfte untersucht worden. Nun soll der Fall von mehreren Massenpunkten untersucht werden. Zuerst werden die Bewegungsgleichungen aufgestellt und die grundlegenden Eigenschaften der Lösungen diskutiert.

Die Kräfte und die Bewegungsgleichungen

Das System besteht aus $ n$ Massenpunkten. Der $ \mu $-te Massenpunkt hat die Masse $ m_{\mu}$. Seine augenblickliche Lage wird durch den Vektor $ \vec{r}_{\mu}$ angegeben, s. Abb. 7.1(a). Die Bewegung des $ \mu $-ten Massenpunktes wird durch die Newtonsche Bewegungsgleichung beschrieben:

$\displaystyle m_{\mu}\ddot{\vec r}_{\mu} = \vec{\bar F}_{\mu}, \qquad \mu = 1,2,\ldots,n,$ (71)

$ \vec{\bar F}_{\mu}$ ist die Resultierende aller am $ \mu $-ten Massenpunkt angreifenden Kräfte. Die obigen $ n$ Vektorgleichungen (7.1) bilden ein System von $ 3 n$ gewöhnlichen Differentialgleichungen 2. Ordnung.
Abbildung 7.1: a) Lage mehrerer Massenpunkte; b) Reaktionsprinzip.
[] \includegraphics[scale=0.8]{k7_lage_massenpkte} [] \includegraphics[scale=0.8]{k7_reaktionsprinzip}

Die Kräfte werden in 2 Gruppen geteilt:

  1. Äußere Kräfte:

    $\displaystyle \vec F_{\mu}(\vec {r}_{\mu}, \dot{\vec r}_{\mu}; t, $   $\displaystyle ).
$

    Sie hängen nur von den Koordinaten des $ \mu $-ten Teilchens und eventuell von dessen Geschwindigkeit und von der Zeit ab. Äußere Parameter sind z.B. elektrische und magnetische Feldstärke oder andere physikalische Größen, die die Kraft charakterisieren und unabhängig von $ \vec r_{\mu}$ und $ \dot{\vec r_{\mu}}$ sind.
  2. Innere Kräfte: (Wechselwirkung der Massenpunkte untereinander)
    Für diese werden nur Zweikörperkräfte in Betracht gezogen.

    $\displaystyle \vec F_{\mu \nu} (\vec r_{\mu},\vec r_{\nu},\dot{\vec r}_{\mu},\dot{\vec r}_{\nu};$   Parameter der Massenpunkte$\displaystyle ), \quad \vec F_{\nu \nu} = 0,
$

    ist die Kraft des $ \nu$-ten Massenpunktes auf den $ \mu $-ten Massenpunkt. Parameter der Massenpunkte sind z.B. ihre Masse, ihre Ladung, ihre elektrischen und magnetischen Momente, usw. Die Wechselwirkung eines Massenpunktes mit sich selbst, $ F_{\nu \nu}$, wird Null gesetzt.

In der Natur entstehen die Kräfte durch Wechselwirkung der Teilchen, im Prinzip gibt es also nur innere Kräfte. Aber oft kann ein System in zwei Teile geteilt werden, sodaß die Wirkung des ersten Teiles auf den zweiten vernachlässigt werden kann. Dann kann man die Kraft des zweiten Teiles auf den ersten als äußere Kraft behandeln. Die Wechselwirkung der Bestandteile des ersten Teiles untereinander gibt die inneren Kräfte.

Die inneren Kräfte sollen zwei Voraussetzungen erfüllen:

  1. Das Reaktionsprinzip (3. Newtonsches Axiom, actio = reactio)

    $\displaystyle \vec F_{\nu \mu} = - \vec F_{\mu \nu}  ,$ (72)

    ist ein allgemeines Grundgesetz der Mechanik (s. Abb. 7.1 b)).
  2. Die inneren Kräfte sind Zentralkräfte, sie hängen nur vom relativen Abstand $ \vec r_{\mu} - \vec r_{\nu}$ der beiden Massenpunkte ab und wirken nur in der Verbindungslinie $    \vec r_{\mu} - \vec r_{\nu}$

    $\displaystyle \vec F_{\mu \nu} \parallel \vec r_{\mu} - \vec r_{\nu}   .$ (73)

    Dies ist grundsätzlich naheliegend, weil für die beiden Massenpunkte ist im freien Raum $ \vec r_{\mu} - \vec r_{\nu}$ die einzige ausgezeichnete Richtung. Die meisten Kräfte in der Natur erfüllen diese Bedingung.
Man kann zwei Arten von Systemen unterscheiden:
  1. Freie Systeme: Die Massenpunkte sind bei der Bewegung unbehindert und folgen nur den einwirkenden eingeprägten Kräften.
  2. Gebundene Systeme: Für die Koordinaten und/oder Geschwindigkeiten der Massenpunkte liegen einschränkende Bedingungen vor, z.B. der Abstand der Massenpunkte muß immer konstant bleiben (starrer Körper), oder die Massenpunkte müssen sich auf vorgeschriebenen Kurven oder Flächen bewegen. Diese Nebenbedingungen müssen dann durch die Einführung von Zwangskräften berücksichtigt werden.

Erhaltungssätze für Massenpunktsysteme

Hier werden nur freie Systeme betrachtet. Die Erhaltungssätze werden aus den Bewegungsgleichungen abgeleitet:

$\displaystyle m_{\mu}\ddot{\vec r}_{\mu}  =  \vec F_{\mu}(\vec r_{\mu})  +  \sum^{n}_{\nu =1} \vec F_{\mu \nu}(\vec r_{\mu},\vec r_{\nu})   .$ (74)

Gesamtimpuls und Schwerpunkt

Die Gesamtgrößen (Gesamtimpuls, -masse, -drehimpuls, usw.) sind definiert als die Summen der entsprechenden Einzelgrößen. Für griechische Indices kein Summationsübereinkommen. $ \sum_{\mu}$ ist immer $ \sum^{n}_{\mu =1}$, ebenso für $ \nu$. Der Gesamtimpuls ist

$\displaystyle \fbox{\parbox{6.2cm}{\begin{displaymath}\vec P = \sum_{\mu =1}^{n...
...mu} \dot{\vec r}_{\mu} = \sum_{\mu} m_{\mu} \vec v_{\mu} . \end{displaymath}}}$ (75)

Durch Summation der Bewegungsgleichung (7.4) ergibt sich

$\displaystyle \sum_{\mu} m_{\mu} \ddot{\vec r}_{\mu} = \frac{d}{dt} \sum_{\mu} ...
...um_{\mu} \vec F_{\mu} +
\underbrace{\sum_{\mu,\nu} \vec F_{\mu,\nu} }_{= 0} .
$


$\displaystyle \frac{d}{dt} \vec P  =  \sum_{\mu} \vec F_{\mu} (\vec r_{\mu}).$ (76)

In der oberen Zeile ist die Doppelsumme auf der rechten Seite Null wegen des Reaktionsprinzipes, Gl. (7.3). Nun werden Schwerpunkt $ \vec r_{s}$ und Gesamtmasse $ M$ eingeführt.

$\displaystyle M := \sum_{\mu}^{n} m_{\mu}, \qquad \vec r_{s} := \frac{1}{M} \sum_{\mu} m_{\mu} \vec r_{\mu}.$ (77)

Aus Gl. (7.5) und (7.7) folgt dann

$\displaystyle \begin{tabular}{\vert rcl\vert} \hline && [-.8mm] $ \vec P $ \...
... =   \sum_{\mu} \vec F_{\mu}(\vec r_{\mu}). $  [4mm] \hline \end{tabular}$ (78)

Die zeitliche Änderung des Gesamtimpulses wird nur von den äußeren Kräften verursacht, die inneren können dazu nichts beitragen. Der Schwerpunkt bewegt sich so, als ob die gesamte Masse des Systems in ihm vereinigt wäre und alle äußeren Kräfte nur an diesem Punkt angriffen. Dies ist eine Folge des Reaktionsprinzipes.

Ist die Resultierende der äußeren Kräfte Null (meist wird dies nur der Fall sein, wenn alle $ F_{\mu} = 0$ sind), dann gilt der Erhaltungssatz des Impulses und des Anfangsschwerpunktes:
Bei Abwesenheit äußerer Kräfte ist der Gesamtimpuls konstant; der Schwerpunkt bewegt sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit.


$\displaystyle \fbox{\parbox{7.5cm}{\begin{displaymath}\sum_{\mu} \vec F_{\mu} =...
...quad \frac{d}{dt} \vec P = 0, \quad \vec P = \mbox{const.}, \end{displaymath}}}$ (79)

$\displaystyle \vec r_{s} =  \frac{\vec P}{M}  t + \vec r_{s_0}.$ (710)


Gesamtdrehimpuls

Die Bewegungsgleichung (7.4) wird von links mit $ \vec r_{\mu}$ äußerlich multipliziert und das Produkt über $ \mu $ summiert. Dies gibt

$\displaystyle \frac{d}{dt} \sum_{\mu}m_{\mu}\vec r_{\mu} \times \dot{\vec r}_{\...
...\mu} \times \vec F_{\mu} + \sum_{\nu,\mu}\vec r_{\mu} \times \vec F_{\mu \nu} .$ (711)

Die zweite Summe auf der rechten Seite wird in zwei aufgespalten, in der so erhaltenen zweiten Summe werden die Summationsindices umbenannt.
$\displaystyle \sum_{\nu \mu} \vec r_{\mu} \times \vec F_{\mu \nu} =
\sum_{\nu > \mu} \vec r_{\mu} \times \vec F_{\mu \nu}$ $\displaystyle +$ \begin{displaymath}\sum_{\nu < \mu}
\vec r_{\mu} \times \vec F_{\nu \mu} \leftar...
...\begin{array}{c}
\nu \to \mu  \mu \to \nu
\end{array} \right.\end{displaymath}  
    $\displaystyle \sum_{\mu < \nu} \vec r_{\nu} \times \vec F_{\nu \mu} =
- \sum_{\nu > \mu} \vec r_{\nu} \times \vec F_{\mu \nu} ;$  

$\displaystyle \sum_{\nu \mu} \vec r_{\mu} \times \vec F_{\mu \nu} =
\sum_{\nu > \mu} (\vec r_{\mu} - \vec r_{\nu}) \times \vec F_{\mu \nu} = 0 .
$

Nach diesen Umformungen sieht man, daß der Beitrag der inneren Kräfte verschwindet, wenn diese Zentralkräfte, Gl. (7.3), sind. Mittels der Definitionen des Gesamtdrehimpulses und -momentes der äußeren Kräfte läßt sich Gl. (7.11) schreiben als

$\displaystyle \vec L = \sum_{\mu} \vec L_{\mu} = \sum_{\mu} m_{\mu}   (\vec r \times \dot{\vec r}_{\mu}) ;$ (712)

$\displaystyle \vec M = \sum_{\mu} \vec M_{\mu} = \sum_{\mu} \vec r_{\mu} \times \vec F_{\mu}(\vec r_{\mu}) .$ (713)

$\displaystyle \fbox{\parbox{3cm}{\begin{displaymath}\frac{d}{dt} \vec L = \vec M . \end{displaymath}}}$ (714)

Die zeitliche Änderung des gesamten Drehimpulses eines Systems ist gleich dem resultierenden Drehmoment der äußeren Kräfte. Auch hier spielen die inneren Kräfte keine Rolle, solange sie Zentralkräfte sind.

$\displaystyle \fbox{\parbox{5.5cm}{\begin{displaymath}\vec M = 0 \quad \Longrightarrow \quad \vec L = \mbox{const.} \end{displaymath}}}$ (715)

Erhaltung des Gesamtdrehimpulses ist gewährleistet, wenn das resultierende Moment der äußeren Kräfte Null und die inneren Kräfte Zentralkräfte sind.

Im allgemeinen ist der Drehimpuls vom Bezugspunkt abhängig. Eine ungünstige Wahl des Bezugspunktes kann daher eine zeitliche Veränderung des Drehimpulses, also eine Verletzung der Drehimpulserhaltung vortäuschen. Geht man vom Bezugspunkt 0 zum neuen $ 0'$ im Abstand $ \vec r_{0}$ (Abb. 7.2(a)) über, ergibt einfache Ausrechnung:

Abbildung: a) Wechsel des Bezugspunktes; b) Schwerpunktsbewegung ohne äußere Kräfte.
[] \includegraphics[scale=0.63]{k7_wechsel_bezugsys} [] \includegraphics[scale=0.63]{k7_schwerpuntsbew}

\begin{displaymath}
\begin{array}{lclcl}
\vec r_{\mu} & = & \vec r_{0} + \vec{r}...
...m_{\mu} \dot{\vec r}_{\mu}{\!\!'}  +  \vec L'  .
\end{array}\end{displaymath}

Aus der vorhergehenden Gleichung ersieht man, daß $ \vec L = \vec L'$ , also der Wert des Drehimpulses unverändert bleibt, wenn
  1. der Bezugspunkt $ \vec r_{0}$ und der Schwerpunkt $ \vec r_{s}$ in Ruhe sind:

    $\displaystyle \dot{\vec r}_{0} = 0 \quad \land \quad \dot{\vec r}_{s} =
\frac{1}{M} \sum_{\mu} m_{\mu} \dot{\vec r}_{\mu} = 0   ,
$


    oder
  2. der Schwerpunkt der Bezugspunkt ist (dieser muß dann nicht in Ruhe sein (vgl. Abb. 7.2(b)):

    $\displaystyle \vec r_{0} = \vec r_{s} = \frac{1}{M} \sum_{\mu} m_{\mu} \vec r_{\mu}{\!\!'} = 0   .
$

Energiesatz

Die Bewegungsgleichung (7.4) wird mit $ \dot{\vec r}_{\mu} $ innerlich multipliziert, das Produkt über $ \mu $ summiert. Der Ausdruck auf der linken Seite ist die gesamte kinetische Energie $ T$:

$\displaystyle \frac{d}{dt}\sum_{\mu}  \frac{m_{\mu}}{2}v^2_{\mu}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \sum_{\mu}(\vec F_{\mu},\vec{v}_{\mu}) + \sum_{\nu,\mu}(\vec F_{\mu \nu},
\vec v_{\mu})   ,$ (716)
$\displaystyle T  $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \sum_{\mu}  \frac{m_{\mu}}{2} v^2_{\mu}   .$  

Wird die vorletzte Gleichung über die Zeit integriert, ergibt sich:
$\displaystyle \int^{t_{2}}_{t_{1}} dt  \frac{dT}{dt} = T_{2} - T_{1}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \int^{t_{2}}_{t_{1}} \left \{ \sum_{\mu}(\vec F_{\mu},\dot{\vec r}_{\mu})
 +  \sum_{\mu,\nu}(\vec F_{\mu \nu}, \dot{\vec r}_{\mu}) \right \} dt$ (717)
  $\displaystyle =$ $\displaystyle \int^{t_{2}}_{t_{1}} \left \{ \sum_{\mu}(\vec F_{\mu},
d \vec r_{\mu}) + \sum_{\mu,\nu}(\vec F_{\mu \nu},d \vec r_{\mu})
\right \}   .$  

Die Änderung der kinetischen Energie ist gleich der von den äußeren und inneren Kräften geleisteten Arbeit. Hier fällt der Beitrag der inneren Kräfte nicht heraus wie bei den Sätzen für den Gesamtimpuls, Gl. (7.8), und für den Gesamtdrehimpuls, Gln. (7.13), (7.14).

Wir nehmen zusätzlich an, daß die äußeren und inneren Kräfte Potentiale besitzen:

$\displaystyle \vec F_{\mu}(\vec r_{\mu}) = - \nabla_{\mu} V_{\mu}(\vec r_{\mu})...
...,\vec r_{2}, \ldots \vec r_{n}) = \sum^{n}_{\mu = 1} V_{\mu}(\vec r_{\mu})   .$ (718)


$\displaystyle \vec F_{\mu}(\vec r_{\mu}) = - \nabla_{\mu} V^a .
$

Der Nablaoperator $ \nabla_{\mu} $ wirkt nur auf den Ortsvektor $ \vec r_{\mu}$.

Für die inneren Kräfte können wir wegen der Voraussetzung, daß sie Zentralkräfte sind, Gl. (7.3), ansetzen:



$\displaystyle \vec F_{\mu \nu}(\vec r_{\mu \nu})$ $\displaystyle :=$ $\displaystyle - \nabla_{\mu}V_{\mu \nu}(r_{\mu \nu})   ,$ (719)
$\displaystyle r_{\mu \nu}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vert\vec r_{\mu} - \vec r_{\nu} \vert   .$  

Das Reaktionsprinzip, Gl. (7.2), verlangt nun
$\displaystyle \vec F_{\nu \mu}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \nabla_{\nu}V_{\nu \mu}(r_{\nu \mu})$ (720)
$\displaystyle = - \vec F_{\mu \nu}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \nabla_{\mu}V_{\mu \nu}(r_{\mu \nu})   .$  

Setzen wir nun

$\displaystyle V_{\mu \nu}(r_{\mu \nu}) = V_{\nu \mu}(r_{\nu \mu})$ (721)

(z.B. ist das Potential zwischen zwei Ladungen

$\displaystyle \quad \frac{e_{\mu}e_{\nu}}{\mid \vec{r}_{\mu} - \vec{r}_{\nu}\mid}
 =  \frac{e_{\nu}e_{\mu}}{\mid \vec r_{\nu} - \vec r_{\mu} \mid}
$

von dieser Form), so ist die obige Bedingung, Gl. (7.21), erfüllt.
$\displaystyle \vec F_{\mu \nu}(\vec r_{\mu \nu})$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - \nabla_{\mu}V_{\mu \nu} = - \frac{dV_{\mu \nu}(r_{\mu \nu})}{d r_{\mu \nu}}
\nabla_{\mu}r_{\mu \nu}$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle - \frac{dV_{\mu \nu}(r_{\mu \nu})}{d r_{\mu \nu}} \frac{\vec r_{\mu} -
\vec r_{\nu}}{\sqrt{(\vec r_{\mu} - \vec r_{\nu})^2}}   .$  

Wegen (7.19) und (7.21) bekommen wir:

\begin{displaymath}
\begin{array}{lcl}
\vec F_{\nu \mu}(\vec r_{\nu \mu}) & = &
...
...)\;\: =\;\:
- \vec F_{\mu\nu}(\vec r_{\mu\nu})   .
\end{array}\end{displaymath}

In der Summe für die von den inneren Kräften geleistete Arbeit werden jeweils die obigen beiden Ausdrücke zusammengefaßt:
$\displaystyle (\vec F_{\mu\nu},d\vec r_{\mu}) + (\vec F_{\nu\mu},d\vec r_{\nu})$ $\displaystyle =$ $\displaystyle - (\nabla_{\mu}V_{\mu\nu}(r_{\mu\nu}),d\vec r_{\mu}) - (\nabla_{\nu}
V_{\mu\nu}(r_{\mu\nu}),d\vec r_{\nu})$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle - dV_{\mu\nu}   ;$  

$\displaystyle \sum_{\mu ,\nu}(\vec F_{\mu\nu},d\vec r_{\mu}) =
\sum_{\mu > \nu...
...vec r_{\nu}) \right \} = - \sum_{\mu > \nu} dV_{\mu\nu}  :=  -  dV^{i}   ;
$

$\displaystyle \sum_{\mu}(\vec F_{\mu},d\vec r_{\mu})  =  - \sum_{\mu} dV_{\mu}(\vec r_{\mu})  =  - dV^{a}   .
$

Gl. (7.17) kann damit in folgender Weise umgeschrieben werden

$\displaystyle T_{2} - T_{1} = \int_{t_{1}}^{t_{2}} \left \{ - \sum_{\mu}dV_{\mu...
...\nu} dV_{\mu\nu} \right \} =
- V^{a}(2) + V^{a}(1) - V^{i}(2) + V^{i}(1)   ,
$

$\displaystyle T_{1} + V^{a}(1) + V^{i}(1)  =  T_{2} + V^{a}(2) + V^{i}(2) =  $   const. $\displaystyle  := E
$

Dies gibt den Satz von der Erhaltung der Energie

$\displaystyle \fbox{\parbox{5.5cm}{\begin{displaymath}E = T + V^{a} + V^{i}  =  \mbox{const.} \end{displaymath}}}$ (722)

mit

\begin{displaymath}
\begin{array}{lclclcl}
T & = & \sum_{\mu} \frac{m_{\mu}}{2} ...
... r_{\mu},\vec r_{\nu}) & = & - \nabla_{\mu} V^{i} .
\end{array}\end{displaymath}

Die kinetische Energie kann noch umgeschrieben werden, indem man den Schwerpunkt als Bezugspunkt einführt:

$\displaystyle \vec r_{\mu} = \vec r_{s} + \vec r_{\mu}{\!\!'}, \qquad \dot{\vec r}_{\mu} = \dot{\vec r}_{s} + \dot{\vec r}_{\mu}{\!\!'}   ;$ (723)

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccccccc} T & = & \sum_{\mu} \frac{m_{\mu}}{2}...
...}^{2} &&  [1em] &&& = & T_{s} & + & T_{i}   . && \end{array}\end{displaymath} (724)

Die kinetische Energie ist gleich der kinetischen Energie des im Schwerpunkt vereinigt gedachten Systems, vermehrt um die kinetische Energie der Massenpunkte bezüglich des Schwerpunktes. Denn der 3. Term der obigen Gleichung verschwindet wegen

$\displaystyle \sum_{\mu} m_{\mu}  \dot{\vec r}_{\mu}{\!\!'} = \sum_{\mu} m_{\m...
...{s}) = \sum_{\mu} m_{\mu}  \dot{\vec r}_{\mu} - M  \dot{\vec r}_{s}  =  0.
$

Z.B. ist die Gesamtenergie eines neutralen Atoms mit $ Z$ Elektronen und mit fixem Kern (der als Bezugspunkt gewählt wird) im freien Raum

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccccc} E & = & \frac{m}{2} \sum\limits_{\nu =...
..._{\mu \nu}}   , & = & T & + & V^a & + & V^i   . \end{array}\end{displaymath}    

Das Zweikörperproblem

Das einfachste Mehrkörperproblem ist das zweier Körper. In diesem Fall lassen sich auch noch in einigen Fällen Lösungen angeben.

Elastischer Stoß zweier Massen

Es wird die Bewegung zweier Massen im freien Raum betrachtet. Die beiden Massen erfahren eine Wechselwirkung, also eine Kraft, nur beim Stoß. Da dieser als elastisch vorausgesetzt wird, gelten die Erhaltungssätze für Gesamtimpuls und -energie. Diese lassen sich sehr zweckmäßig zur Behandlung des Problems heranziehen. Eine weitere Vereinfachung ergibt sich, wenn man den Stoßvorgang im Schwerpunktsystem (dort ist der Gesamtimpuls Null) betrachtet. Die Beobachtung des physikalischen Vorganges erfolgt natürlich im Laborsystem. - Die nachfolgende Darstellung ist einer unveröffentlichten Arbeit von Dr. H. Neuer (mit Erlaubnis des Autors) entnommen.

Die Koordinaten der Massen $ m_{1}$ und $ m_{2}$ im Laborsystem (LS) und im Schwerpunktsystem (SS) sind:

\begin{displaymath}
\begin{array}{lcccc}
& \qquad & \mbox{vor dem Sto\ss{}} & \q...
...ace{-1mm}'},  \vec{\bar v}_{2}{\hspace{-1mm}'}. \
\end{array}\end{displaymath}

Die Umrechnung vom LS ins SS erfolgt mittels der Galileitransformation
$\displaystyle \vec r_{i}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec r_{i}{\hspace{-0.4mm}'} + \vec r_{s}, \qquad \vec v_{i} =
\vec v_{i}{\hspace{-0.4mm}'} + \vec v_{s}, \qquad i = 1,2 ;$ (725)
  $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec r_{i}{\hspace{-0.4mm}'} + \vec v_{s}t.$  

Impulssatz im LS:

\begin{displaymath}\begin{array}{cccc} & \vec p_{1} + \vec p_{2} & = & m_{1}\vec...
...= & m_{1}\vec{\bar v}_{1} + m_{2}\vec{\bar v}_{2} . \end{array}\end{displaymath} (726)

Energiesatz im LS:

$\displaystyle \frac{1}{2}m_{1}v^2_{1} + \frac{1}{2}m_{2}v^2_{2} = \frac{1}{2} m_{1} \bar v^2_{1} + \frac{1}{2} m_{2} \bar v^2_{2} .$ (727)

Impulssatz im SS:

$\displaystyle \vec p_{1}{\hspace{-1mm}'} + \vec p_{2}{\hspace{-1mm}'} = \vec{\bar p}_{1}{\hspace{-1mm}'} + \vec{\bar p}_{2}{\hspace{-1mm}'} = 0.$ (728)

Energiesatz im SS:

$\displaystyle \frac{1}{2} m_{1}v_{1}{\hspace{-1mm}'}^2 + \frac{1}{2} m_{2} v_{2...
...\bar v_{1}{\hspace{-1mm}'}^2 + \frac{1}{2} m_{2} \bar v_{2}{\hspace{-1mm}'}^2 .$ (729)

Aus Gln. (7.25) und (7.28) folgt
$\displaystyle \vec p_{1}{\hspace{-1mm}'} + \vec p_{2}{\hspace{-1mm}'}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle m_{1}(\vec v_{1} - \vec v_{s}) + m_{2}(\vec v_{2} - \vec v_{s}) = 0   ,$ (730)
$\displaystyle \vec v_{s}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle (m_{1}\vec v_{1} + m_{2}\vec v_{2})/M, \qquad M = m_{1}+m_{2} .$  

Aus Gl. (7.28)

$\displaystyle m_{1}\vec v_{1}{\hspace{-1mm}'} + m_{2}\vec v_{2}{\hspace{-1mm}'}...
...{1}
\vec{\bar v}_{1}{\hspace{-1mm}'} + m_{2} \vec{\bar v}_{2}{\hspace{-1mm}'}
$

Abbildung: Die Geschwindigkeiten zweier Teilchen vor und nach dem elastischen Stoß (Zeichnung von F. Schürrer)
\includegraphics[scale=0.9]{k7_elaststosz}
folgt

$\displaystyle \vert \vec v_{1}{\hspace{-1mm}'} \vert = (m_{2}/m_{1})   \vert \...
...1mm}'} \vert
 =  (m_{2}/m_{1}) \vert \vec{\bar v}_{2}{\hspace{-1mm}'} \vert
$

und damit aus dem Energiesatz (7.29):

$\displaystyle \vert \vec v_{1}{\hspace{-1mm}'} \vert = \vert \vec{\bar v}_{1}{\...
...ec v_{2}{\hspace{-1mm}'} \vert = \vert \vec{\bar v}_{2}{\hspace{-1mm}'} \vert .$ (731)

Im SS hat jedes Teilchen nach dem Stoß den gleichen Betrag der Geschwindigkeit wie vor dem Stoß. Da im SS die Impulse entgegengesetzt groß sein müssen, kann man ansetzen (s. Abb. 7.4):

$\displaystyle \vec{\bar v}_{1}{\hspace{-1mm}'} = - \vert \vec v_{1}{\hspace{-1m...
...vec{\bar v}_{2}{\hspace{-1mm}'} = \vert \vec v_{2}{\hspace{-1mm}'} \vert \vec e$ (732)

$ \vec e  $ ist ein willkürlicher Einheitsvektor; er enthält 2 Freiheitsgrade, die erst durch den eigentlichen Stoßvorgang näher bestimmt werden. Von den 6 Freiheitsgraden, die die beiden Massenpunkte $ m_{1}, m_{2}$ besitzen, sind aufgrund der 4 Erhaltungssätze (der 3 Komponenten des Gesamtimpulses und der Gesamtenergie) nur diese 2 Freiheitsgrade übrig geblieben.

Rücktransformation ins LS gibt als Resultat

\begin{displaymath}\begin{array}{cclcl} \vec v_{1}{\hspace{-1mm}'} & = & \vec v_...
...})/M + m_{1}\vert\vec v_{1}-\vec v_{2}\vert\vec e/M \end{array}\end{displaymath}    

Man beachte, daß der Einheitsvektor $ \vec e  $ im SS bestimmt werden muß! Die letzten beiden der obigen Gleichungen geben folgenden Sachverhalt wieder (s. Abb. 7.3): Die Geschwindigkeit des Schwerpunkts bleibt während des ganzen Vorgangs unverändert. Die beiden Geschwindigkeitsvektoren, die den Einlauf der Teilchen beschreiben, spannen eine Ebene auf; die des Auslaufes eine andere Ebene. Der elastische Stoßvorgang bewirkt das Umschlagen von der einen Ebene in die andere. Dieser führt auch den Vektor der anfänglichen Relativgeschwindigkeit $ \vec v_{rel} =
\vec v_1 - \vec v_2 $ in den neuen Relativvektor $ \vec{\bar v}_{rel}  =  \vec{\bar v}_{1} - \vec{\bar v}_{2}  = \
\vec e   \vert {\vec v}_{1} - {\vec v}_{2} \vert $ über; der Vektor der Relativgeschwindigkeit ändert seine Richtung, nicht aber seinen Betrag.
Abbildung: Stoß auf ein Targetteilchen. a) Schwerpunktsystem, b) Laborsystem.
[] \includegraphics[scale=0.7]{k7_stoss_ss} [] \includegraphics[scale=0.7]{k7_stoss_ls}

Der Stoß auf ein ruhendes Target

Es wird nun ein wichtiger Spezialfall weiter behandelt: $ m_{2}$ sei vor dem Stoß in Ruhe, $ \vec v_{2} = 0$. Dann liegen die 3 Vektoren $ \vec v_{1}, \vec{\bar v}_{1}, \vec{\bar v}_{2}$ wegen des Impulssatzes (7.26)

$\displaystyle m  \vec v_{1}  =  m_{1}  \vec{\bar v}_{1} + m_{2}  \vec{\bar v}_{2}$ (733)

in einer Ebene.

Wir setzen an

\begin{displaymath}\begin{array}{ccll} \vec v_{1} & = & (v,0,0), \quad \vec v_{2...
...varphi), 0), \quad \phi = 2 \varphi & \mbox{im SS.} \end{array}\end{displaymath}    

Damit erhält man aus Gl. (7.33) für das stoßende Teilchen

$\displaystyle \vec{\bar v}_{1} = \frac{v}{m_{1}+m_{2}} \left( \begin{array}{ccc...
...- & m_{2}\cos(2 \varphi)  & - & m_{2}\sin(2 \varphi) \end{array} \right)   ,$ (734)

und für das gestoßene Teilchen (Zielteilchen = Targetteilchen)

$\displaystyle \vec{\bar v}_{2} = \frac{2m_{1}v\cos \varphi}{m_{1} + m_{2}} { \cos \varphi \choose \sin \varphi }   ;$ (735)

2$ \varphi$ ist der Winkel im SS (s. Abb. 7.4). Man sieht aber aus Gl. (7.35), daß $ \varphi$ der Ablenkwinkel für $ v_{2}$ im LS ist. Der Ablenkwinkel für $ v_{1}$ sei $ \vartheta $ :

$\displaystyle \tan \vartheta = - \frac{\sin(2 \varphi)}{\frac{m_{1}}{m_{2}}-\cos (2 \varphi)} .$ (736)

Bei der Inversion dieser Formel erhält man nicht den vollen Bereich $ - \pi \leq \vartheta \leq \pi $ wegen der Beschränkung des Hauptwertes des arctg. Am besten geht man von Gl. (7.34) aus und rechnet

$\displaystyle r e^{i\vartheta} = m_{1}/m_{2} - \cos(2 \varphi) - i \sin(2 \varphi) .$ (737)

Weitere Spezialisierung auf gleiche Massen gibt

$\displaystyle m_{1} = m_{2}, \qquad v_{2} = 0.
$

$\displaystyle \vec{\bar v}_{1} = v \sin\varphi{ \sin\varphi \choose -\cos\varphi }, \quad \vec{\bar v}_{2} = v \cos\varphi { cos \varphi \choose \sin \varphi } ,$ (738)

$\displaystyle \hspace{-1cm}\Longrightarrow \quad\vec{\bar v}_{1} \bot \vec{\bar v}_{2},
\qquad \vartheta + \varphi = 90^0 .
$

Im LS stehen nach dem Stoß die beiden Geschwindigkeiten aufeinander senkrecht, wenn $ m_{1} = m_{2}$. Es gibt keine Rückwärtsstreuung. Diese ist nur möglich, wenn $ m_{1} < m_{2} $ ist.

Der Stoß zweier glatter Kugeln

Wir wollen die vorliegende Theorie des Stoßes eines Teilchens auf ein ruhendes noch weiterentwickeln, um den Einheitsvektor $ \vec e  $ und den Streuwinkel $ \varphi$ aus der Stoßgeometrie zu berechnen. Um die Berechnung ohne allzugroßen Aufwand durchführen zu können, müssen wir voraussetzen, daß die beiden Kugeln (Masse $ m_1 $ und Radius $ r_1 $; bzw. $ m_2 $ und $ r_2 $) ideal glatt sind. Die Stoßgeometrie ist im LS und im SS gleich, s. Abb. 7.4. Beim elastischen Zusammenstoß der beiden ideal glatten Kugeln wird keine Energie in Rotationsenergie umgesetzt, es werden nur die Komponenten der Impulse $ \vec p_{1}{\hspace{-1mm}'}$ und $ \vec p_{2}{\hspace{-1mm}'}$ in Richtung der Verbindungsachse $ \vec a$ der beiden Kugelzentren umgekehrt. Dies gibt für den Impuls der auslaufenden Kugel 1

Abbildung: Geometrie des Zusammenstoßes zweier Kugeln
\includegraphics[scale=0.86]{k7_kugelstoss}

\begin{displaymath}
\begin{array}{lclcl}
\vec p_{1}{\hspace{-1mm}'} & = & \quad ...
...a) -
\frac{\vec{v}_{1}{\hspace{-1mm}'}}{v_{1}}\big]
\end{array}\end{displaymath}

mit

$\displaystyle \vert\vec a\vert = 1.
$

Wegen

$\displaystyle \vec v_{1}{\hspace{-1mm}'} = -\vert v'_{1}\vert \vec e
$

ist also
$\displaystyle \vec e$ $\displaystyle =$ $\displaystyle 2 \vec a  (\vec v_{1}{\hspace{-1mm}'}/v'_{1},\vec a)  -  \vec
v_{1}{\hspace{-1mm}'}/v'_{1}$ (739)
  $\displaystyle =$ $\displaystyle (\cos(2 \varphi),\sin(2 \varphi), 0)   .$  

Der Einheitsvektor $ \vec a$ bestimmt den Vektor $ \vec e  $ und damit den Streuwinkel $ \varphi$. Für das behandelte ebene Problem ist das nur ein Freiheitsgrad und dieser wird durch die Komponente von $ \vec a$ senkrecht zu $ \vec p'_{1}$ (oder $ \vec p'_{2} $) bestimmt. Diese hängt ihrerseits von den beiden Kugelradien und vom Abstand $ d$ der beiden Zentren im Augenblick des Zusammenstoßes ab (7.5):
Für $ d \leq (r_{1} + r_{2})$ ist

$\displaystyle \vec a$ $\displaystyle =$ $\displaystyle (\sqrt{(r_{1} + r_{2})^2 - d^2},d,0)/(r_{1} + r_{2}),$  
$\displaystyle \vec a\cdot\vec v_{1}{\hspace{-1mm}'}/v'_{1}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \sqrt{(r_{1} + r_{2})^2 - d^2}/
(r_{1} + r_{2}).$  

Aus Gl. (7.39) erhält man für den Winkel $ \varphi$, um den die vor dem Stoß ruhende Masse $ m_{2}$ abgelenkt wird:

$\displaystyle \sin\varphi = d/(r_{1} +r_{2})   .
$

Der Streuwinkel $ \vartheta $ der einlaufenden Masse $ m_1 $ wird aus Gl. (7.37) berechnet. Für $ d > (r_{1} + r_{2})$ findet kein Stoß statt:

$\displaystyle \vec a = (0,1,0), \qquad \varphi = \vartheta = 0.
$

In Abb. 7.6 werden die Streuwinkel als Funktion des relativen Abstandes der beiden Kugeln gezeigt. Die einlaufende Masse $ m_{1}$ kann nach rückwärts gestreut werden, wenn sie leichter als das Target $ m_{2}$, sonst nicht.
Abbildung: a) Streuwinkel des Targetteilchens $ m_2 $; b) Streuwinkel des stoßenden Teilchens $ m_1 $.
[] \includegraphics[scale=0.59]{k7_streuwink_target} [] \includegraphics[scale=0.57]{k7_streuwink_stossteil}

Das Zweikörperproblem mit Wechselwirkung

Zur Behandlung des Zweikörperproblems ohne äußere Kräfte gibt es einen Satz von Koordinaten, der vorteilhafter ist als die Koordinaten relativ zum Schwerpunkt, wie sie in Gl. (7.23) eingeführt worden sind. Diese günstigeren Koordinaten sind die Lage des Schwerpunktes $ \vec r_{s}$ und der relative Abstand $ \vec r$ der beiden Massenpunkte.

Abbildung: Schwerpunkts- und Relativkoordinate im Zweikörperproblem
\includegraphics[scale=0.8]{k7_relativ_schwerpkt_koord}

$\displaystyle \vec r_{s}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle (m_{1}\vec r_{1} + m_{2}\vec r_{2})/M,$ (740)
$\displaystyle \vec r$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec r_{2} - \vec r_{1}, \qquad \vec v = \dot{\vec r} ,$  
$\displaystyle M$ $\displaystyle =$ $\displaystyle m_{1} + m_{2}, \qquad m_{1} \geq m_{2} .$ (741)


$\displaystyle \vec r_{1}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec r_{s} - m_{2}\vec r/M,$ (742)
$\displaystyle \vec r_{2}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \vec r_{s} + m_{1}\vec{r}/M.$  

Ist eine der Massen, $ m_{1}$ (Sonne), wesentlich schwerer als die andere, $ m_{2}$ (Planet), dann unterscheidet sich $ \vec r_{1}$ nur wenig von $ \vec r_{s}$; und $ \vec r$ ist fast derRadiusvektor von der Sonne zum Planeten.

Aus den Bewegungsgleichungen für die beiden Massenpunkte folgt durch Addition die Bewegungsgleichung für den Schwerpunkt (vgl. Gln. (7.4) - (7.8)):

$\displaystyle m_{1}  \ddot{\vec r}_{1}  =  \vec F_{12}(\vec r_{1}-\vec r_{2}...
...dot{\vec r}_{2}  =  \vec F_{21}(\vec r_{2}-\vec r_{1})  =  - \vec F_{12} ;
$

$\displaystyle m_{1}  \ddot{\vec r}_{1} + m_{2}  \ddot{\vec r}_{2}  =  M \ddot{\vec r}_{s}  = \
\vec F_{12} + \vec F_{21}  =  0 .
$

Setzt man Gln. (7.42) in die obigen Bewegungsgleichungen für $ \vec r_{1}$ bzw. $ \vec r_{2}$ ein, dann ergibt sich in beiden Fällen dieselbe Gleichung:

$\displaystyle m_{2}  \ddot{\vec r}_{2}  =  \underbrace{m_{2}\ddot{\vec r}_{s}}_{= 0}  + \
m_{1}m_{2}  \ddot{\vec r}/M  =  \vec F_{21}(\vec r)   ;
$

\begin{displaymath}\begin{array}{\vert ccc\vert} \hline && [-0.5em]\mu  \ddot...
...)  <  m_{2}  \leq  m_{1}. [-0.5em]&& \hline \end{array}\end{displaymath} (743)

$ \mu $ heißt die reduzierte Masse. Durch die Einführung der Koordinaten $ \vec r_{s}$ und $ \vec r$ wird das Problem der relativen Bewegung zweier Massen in ein fiktives Einkörperproblem verwandelt, in dem die reduzierte Masse die Rolle der Einteilchenmasse und das Wechselwirkungspotential die Rolle des Potentials einer ''fiktiven äußeren Kraft'' spielen.

Einsetzen der Substitutionen (7.42) in den Ausdruck für die kinetische Energie ergibt:

\begin{displaymath}\begin{array}{ccccc} T  =  \frac{m_{1}}{2} \dot{\vec r}_{1}...
...} \vec v^{ 2} ,  [1mm] & = & T_{s} & + & T_{i} . \end{array}\end{displaymath} (744)

Die kinetische Energie des Schwerpunktes $ T_{s}$ ist bei Fehlen äußerer Kräfte konstant und kann daher weggelassen werden, wenn nur die innere Bewegung des Systems interessiert. Dann lautet der Energiesatz

$\displaystyle E_{i} = T_{i} + V^{i}(\vec r) = \frac{\mu}{2} \vec v^{ 2} + V(\vec r) .$ (745)

Ist die Kraft zwischen den beiden Massenpunkten eine Zentralkraft, dann ist $ V(\vec r) = V(r)$. Daher können wir sofort die Lösung des Keplerproblems für unendlich schwere Zentralmasse aus §5.2 übernehmen. Dabei bleibt die Konstante $ C$ in Gl. (5.15) unverändert. Die Masse $ m$ ist sonst überall durch $ \mu $ zu ersetzen

$\displaystyle V(r) = \frac{C}{r}, \qquad C = - \gamma  m_{1}  m_{2},$   oder$\displaystyle \quad e^{2}Z_{1}Z_{2}/4 \pi \varepsilon_0 ;
$

$\displaystyle \vec L  =  \mu(\vec r \times \vec v) ,
$

$\displaystyle \vec A  =  (\dot{\vec r} \times \vec L)/C  +  \vec r/r, \qquad
A = \sqrt{1 + 2 L^2 E_{i}/\mu C} ;
$

$\displaystyle r = - \frac{L^2 / \mu C}{1 - A \cos(\vec r, \vec A)} .$ (746)

Als erste Anwendung betrachten wir ein isoliertes Zweikörperproblem (Doppelsternsystem). Das relative Verhältnis der beiden Massen ist für die nachfolgende Betrachtung der Keplerschen Gesetze unwesentlich.
  1. Jeder der beiden Körper bewegt sich längs eines ähnlichen Kegelschnittes um den gemeinsamen Schwerpunkt (= Brennpunkt jedes Kegelschnittes), s. Notebook: K7Doppelst.nb.
  2. Der Flächensatz gilt auch hier: Dabei bestimmen die relative Position und die Geschwindigkeit der beiden Massenpunkte die Flächengeschwindigkeit.

    $\displaystyle F_{\triangle}  =  \left \vert \frac{\vec L}{2 \mu} \triangle t ...
...vec r_{1}) \times (\dot{\vec r}_{2}  -  \dot{\vec r}_{1}) \right \vert  =  $   const. (747)

  3. Für das dritte Keplersche Gesetz berechnet man analog wie in Gl. (3.41), (vgl. §5.2.3)

    $\displaystyle \frac{L}{2 \mu}  \Delta t  = F_{\triangle}: \quad
\frac{L}{2 \m...
...t{1 - \varepsilon^2}, \quad
a(1 - \varepsilon^2)  =  -  \frac{L^2}{\mu C} ;
$

    $\displaystyle \frac{T^2}{a^3}  =  4 \pi^2  \frac{\mu^2}{L^2}  a(1 - \vareps...
...4 \pi^2  \frac{\mu}{C}  =  \frac{4 \pi^2}{\gamma} \frac{1}{m_{1}+m_{2}}   .$ (748)

    Beide Körper haben die gleiche Umlaufdauer $ T$ auf ihrer jeweiligen Bahn; $ 2a$ ist ihr maximaler Abstand.
Für das Planetensystem kann das obige Resultat nur in einer Näherung benützt werden: Die Anziehung der Planeten untereinander wird vernachlässigt gegenüber der Kraft der Sonne (Masse $ m_{1}$). Für $ m_{2}$ wird die Masse des jeweils betrachteten Planeten eingesetzt. Dieses Näherungsverfahren ist nur sinnvoll, wenn die Zentralmasse $ m_{1}$ groß ist im Vergleich zur Masse aller Planeten. Dann ergibt sich für die Keplerschen Gesetze:
  1. Bei Vernachlässigung der gegenseitigen Anziehung der Planeten untereinander und ihrer Wechselwirkung über die Sonne, bewegen sich die Sonne und der betrachtete Planet auf ähnlichen Kegelschnitten um den gemeinsamen Schwerpunkt. Für $ m_{1}»m_{2}$ ist $ m_{1}$ fast in Ruhe.

    Im Sonnensystem ist Jupiter der schwerste Planet, Saturn der zweitschwerste.

    \begin{displaymath}
\begin{array}{lclclclclcc}
\mbox{Sonne:} & \quad & m_{1} & =...
... && && m_{2}/m_{1} & \approx &
2,9 \cdot 10^{-4} .
\end{array}\end{displaymath}

    Unter der Annahme, daß jeweils nur einer dieser beiden Planeten um die Sonne kreist, ergeben sich aus Gl. (7.40) folgende Werte für die mittleren Bahnradien

    \begin{displaymath}
\begin{array}{lclclcl}
r_{Jup} & = & 778 \cdot 10^6 km, & \q...
... km, & \quad & r_{\odot} & = & 0,41 \cdot
10^6 km .
\end{array}\end{displaymath}

    Vergleicht man diese mit dem Wert des Sonnenradius $ R_{\odot} = 0,695 \cdot
10^6$ km, sieht man, daß der gemeinsame Schwerpunkt des Systems Sonne - Jupiter (Saturn) in der Sonnenkorona liegt.
  2. Der Flächensatz gilt nur näherungsweise unter den Voraussetzungen wie in 1.
  3. Es folgt aus Gl. (7.48)

    $\displaystyle \frac{T^2}{a^3} = \frac{4 \pi^2}{\gamma m_{1}} \frac{1}{1+m_{2}/m_{1}}
$

    Die Umlaufzeiten aller Planeten gehorchen dem 3. Keplerschen Gesetz nur dann, wenn die Gesamtheit ihrer Massen klein ist gegen die Zentralmasse $ m_{1}$.

Christian Sommer 2003-01-27