Unterabschnitte
Die Newtonsche Bewegungsgleichung (3.1) gilt nur in Inertialsystemen. Untersucht
man einen Bewegungsvorgang in einem System, das kein Inertialsystem ist,
dann muß man Zusatzeffekte berücksichtigen, die von der beschleunigten Bewegung
des Systems und der Trägheit der Massen herrühren. In den Bewegungsgleichungen
treten dann neben den eingeprägten Kräften noch die Trägheitskräfte auf.
Inertialsysteme
Ein System heißt Inertialsystem, wenn in ihm ein Körper keine Beschleunigung
erfährt, wenn keine äußeren Kräfte auf ihn wirken:
wenn |
(81) |
Wir betrachten die Menge der Inertialsysteme. Das erste sei das von Gl. (8.1).
Ein zweites sei:
|
(82) |
Aus (8.1) und (8.2) folgt, daß die Beschleunigungen gleich sein müssen.
Zweimalige Integration dieser Gleichung gibt:
Die letzte Beziehung besagt, daß es eine 6-parametrige Menge von Inertialsystemen
gibt. Jedes Element ist durch ein spezielles Wertesextupel der Integrationskonstanten
und gekennzeichnet. Die Erfahrung zeigt, daß es
solche Koordinatensysteme tatsächlich gibt: Systeme, die relativ zum Fixsternhimmel
in gleichförmiger Bewegung sind, sind in guter Näherung Inertialsysteme.
Wir betrachten zwei rechtshändige Koordinatensysteme (Abb. 8.1). Das erste
System, , mit den orthonormierten Basisvektoren
heißt raumfestes System; es ist ein Inertialsystem. Das zweite System, ,
ist ebenfalls ein rechtshändiges mit den orthonormierten Basisvektoren
; es heißt körperfestes System.
Es wird später ein bewegtes, sogar beschleunigtes System
sein; zunächst wird es ebenfalls als fix betrachtet. Der Vektor weist vom
Ursprung des Systems zum Ursprung von . Zu ein- und demselben Raumpunkt
weist von der Vektor (mit Komponenten bezüglich )
und von der Vektor
(mit Komponenten bezüglich ) :
|
(84) |
In lauten die Komponenten dieser Vektorgleichung:
Die
Matrix
mit |
(86) |
ist aus den Komponenten gebildet, die die Basisvektoren
des Systems
bezüglich haben; sie werden durch Normalprojektion der Einheitsvektoren
auf die Koordinatenachsen von gebildet und sind gleich den
Richtungskosinussen, Abb. 8.2(a). Der Winkel
liegt in der Ebene, die von den
beiden eben genannten Vektoren aufgespannt wird. Die Drehmatrix
ist reell
und orthogonal:
(a) (b) |
(87) |
Für den Spezialfall, daß die Ursprünge der beiden Systeme zusammenfallen und
das gestrichene System gegenüber dem ungestrichenen um den Winkel verdreht
ist, ergibt sich (Abb. 8.2(b)):
|
(88) |
Echte Vektoren können parallel zu sich selbst im Raum
verschoben werden. Sie lassen sich als Differenzen von Ortsvektoren darstellen.
Gemäß dieser Definition ergibt sich aus (8.5)
für echte Vektoren das folgende Transformationsgesetz
|
(89) |
Die Eulerschen Winkel
Abbildung 8.3:
Die Eulerschen Winkel.
|
Wenn zwei rechtshändige Koordinatensystem irgendwie zueinander stehen, kann man das eine in das
andere durch zwei Operationen überführen: 1) durch eine Translation um einen Vektor
schiebt man den einen Ursprung in den anderen; 2) durch eine Drehung bringt man entsprechende
Koordinatenachsen zur Deckung. Diese Drehung kann auf mehrere Weisen festgelegt werden. Hier
werden nur zwei behandelt: a) die Angabe eines Drehvektors: b) durch drei Winkel, die
Eulerschen Winkel.
Wir beschränken uns nun auf die Drehungen, setzen also bis auf weiteres den Vektor
in Gl. (8.5) Null.
Eine Drehung kann durch die Angabe eines Einheitsvektors für die Drehachse und
eines Drehwinkels festgelegt werden. Dann kann man die Komponenten der Basisvektoren
des gedrehten Systems mittels des Drehtensors berechnen:
Diese Darstellung hat den Nachteil, daß
die 4 Parameter
und
einer Nebenbedingung unterworfen sind (
).
Es ist zweckmäßiger, ein System von 3 Winkeln zu verwenden, die voneinander unabhängig sind. Ein
solches sind eben die Eulerschen Winkel. Diese geben die Lage des körperfesten
Systems relativ zu raumfesten an. Letzteres wird in seine in Abb. 8.3
angegebene Endlage in 3 Schritten übergeführt:
Zuerst wird das gestrichene System um die 3-Achse (die 3'-Achse fällt während dieses
Schrittes noch mit der 3-Achse zusammen) um den Winkel in positivem Sinn gedreht.
Die neue Lage der 1'-Achse heißt die Knotenlinie.
Im zweiten Schritt wird das körperfeste System um die Knotenlinie um
den Winkel gedreht. Diesen Winkel schließen auch die 1'-, 2'-Ebene
und die 1-, 2-Ebene ein. Die momentane Stellung der 2'-Achse gibt die
Querachse. Im letzten Schritt werden die 1'- und 2'-Achse um den Winkel
um die 3'-Achse in die Endlage gedreht.
Der vom gemeinsamen Ursprung beider Systeme zum Punkt weisende Vektor
hat in die Komponenten , in die Komponenten .
|
(812) |
Die Komponenten werden gemäß Gl. (8.5) umgerechnet:
|
(813) |
Die orthogonale Transformationsmatrix ist gegeben durch:
|
(814) |
Diese Matrix kann berechnet werden, indem man zuerst die einzelnen Drehungen ausrechnet.
Diese sind
,
und
.
Die erste und die letzte Drehmatrix ergeben sich aus (8.8), indem man für
den entsprechenden Winkel einsetzt. Für die Drehung um die Knotenlinie findet man:
Die gesamte Drehmatrix ergibt sich dann durch Matrizenmultiplikation und liefert obige
Matrix (8.14).
Für ein anderes Verfahren wird Gl. (8.12) mit überschoben, der resultierende
Ausdruck wird mit Gl. (8.5) verglichen. Dies gibt:
|
(815) |
Die Matrixelemente können also aus den inneren Produkten der
Basisvektoren bestimmt werden. Die Basisvektoren von sind einfach,
Gl. (8.16a); die Komponenten der Basisvektoren
in berechnet man mit
Hilfe der Abb. 8.3.
und
kann man zunächst auf
(in Richtung der Knotenlinie) und (in Richtung der Querachse)
aufspannen. Wir geben die benötigten Basisvektoren an, bei manchen werden für spätere
Anwendungen die Komponenten bezüglich und benötigt.
|
(816) |
Jetzt nehmen wir an, die Lage des körperfesten Systems ändert sich im
Laufe der Zeit. In
der Transformationsgleichung (8.5) sind der Vektor
und die Matrixelemente
Funktionen der Zeit. Dies muß bei der Berechnung der Geschwindigkeit
und der Beschleunigung
berücksichtigt werden.
Hiebei ist eine gesonderte Untersuchung der Zeitableitung einer
orthogonalen Transformationsmatrix nötig. In diesem Fall unterscheiden sich die symbolische
und die analytische (Tensor-)schreibweise mehr als sonst. Deshalb geben wir diese Ableitung
in beiden Fällen an. Die symbolische Schreibweise erscheint einfacher und übersichtlicher,
bei der Berechnung komplifzierterer Probleme kann die analytische vorteilhafter sein.
Es gibt ja zwei Bezugssysteme, das raumfeste und das körperfeste. Jede symbolische Gleichung
muß bei einer konkreten Rechnung in einem der beiden Systeme ausgewertet werden und dies kann
in komplexeren Fällen schwierig werden. Bei der analytischen Schreibweise sind die Formeln
länglicher weil die Transformationen zwischen den Systemen immer explizit angegeben sind.
Die Drehung des körperfesten Systems kann durch einen Vektor beschrieben werden, der
die Winkelgeschwindigkeit genannt wird. Dies ist anschaulich klar. Wir zeigen jetzt wie
die zeitliche Änderung der Basisvektoren durch diesen Vektor ausgedrückt werden kann.
Die Basisvektoren
des rotierenden
Koordinatensystems sind normiert und stehen paarweise aufeinander orthogonal:
|
(817) |
Sie sind zeitabhängig. Die Zeitableitung steht auf dem ursprünglichen Vektor senkrecht,
wie aus Gl. (8.17) folgt.
|
(818) |
Das Vektorprodukt zweier Basisvektoren gibt den dritten. Durch Differentiation nach der
Zeit folgt daraus:
|
(819) |
Daraus folgt durch vektorielle Multiplikation mit
:
Skalare Multiplikation der letzten Gleichung mit
macht auch
den dritten Term zu Null. Gleichzeitig gibt dies das Spatprodukt:
Differenziert man Gl. (8.17) für nach der Zeit, findet man:
|
(820) |
Deswegen ist der zweite Faktor der vorletzten Gleichung Null, damit auch das Spatprodukt
der Zeitableitungen der Basisvektoren; diese liegen daher in einer Ebene.
sei ein Einheitsvektor senkrecht zu dieser Ebene.
Wegen Gln. (8.18) und (8.20) steht
senkrecht auf
und auf
. Daher kann man die Zeitableitungen der
Basisvektoren schreiben als:
|
(821) |
In obiger Gleichung darf über den wiederholten Index nicht summiert werden.
Setzt man (8.21) in (8.20) ein, ergeben sich:
und zwei analoge Gleichungen für
und
. Da die drei Basisvektoren paarweise
orthogonal sind, können nicht alle drei inneren Produkte
gleichzeitig Null sein. Daher müssen alle drei
Differenzen der Null, also alle drei gleich sein. Damit kann man
Gl. (8.21) in folgender endgültiger Form schreiben:
|
(822) |
Der Vektor
ist der Vektor der Winkelgeschwindigkeit, wie er auch unten
in Gl. (8.28) definiert ist. Seine Richtung gibt die Richtung der Drehachse, seine Länge
den Betrag der Winkelgeschwindigkeit an.
Bei der Berechnung der Geschwindigkeit durch Differentiation des Ortsvektors nach der
Zeit muß man beachten, daß auch die Basisvektoren des bewegten Systems Funktionen der
Zeit sind.
|
(823) |
|
(824) |
Zur Umrechnung des letzten Termes der letzten Gleichung wurde
Gl. (8.21) herangezogen.
bedeutet, daß bei der Ableitung nur die gestrichenen Koordinaten nach der Zeit differenziert
werden, nicht aber die zeitabhängigen Basisvektoren. Die Geschwindigkeit im raumfesten
System wie diese auf der linken Seite steht, wird auf der rechten Seite aus drei Beiträgen
zusammengesetzt:
1) Aus der Bewegung des Ursprungs des gestrichenen Systems ,
2) aus der Geschwindigkeit des Massenpunktes relativ und 3) aus der Drehung des Systems
.
Wird Gl. (8.24) nach der Zeit differenziert, erhält man die Beschleunigung. Auf der rechten
Seite werden wieder die Zeitableitungen
gemäß
Gl. (8.22) ersetzt.
Dies gibt dann:
|
(825) |
Die Beschleunigung im raumfesten System kann zusammengesetzt werden aus:
1) der Beschleunigung des Urprungs ,
2) der Relativbeschleunigung,
3) der Winkelbeschleunigung der Drehungs von ,
4) der Coriolisbeschleunigung,
5) der Zentripetalbeschleunigung.
Die Newtonsche Bewegungsgleichung
gilt nur im raumfesten System, da dieses nach Voraussetzung ein Inertialsystem ist.
Aus der obigen Gleichung für die Beschleunigung
kann man aber eine Gleichung für die Beschleunigung relativ zu bilden:
|
(826) |
Die Beschleunigung relativ zu wird verursacht durch 1) die eingeprägte Kraft
(der Strich bedeutet, daß die eingeprägte Kraft ins beschleunigte System umgerechnet
werden muß) und aus den Trägheitskräften 2) resultierend aus der beschleunigten
Bewegung von , 3) aus der beschleunigten Drehung von , 4) aus der Corioliskraft und
5) aus der Zentrifugalkraft.
Wir gehen von Gl. (8.5) aus. Im allg. sind die Komponenten des
Translationsvektors
und die Elemente der Drehmatrix gegebene Funktionen der Zeit. Wieder ist eine
gesonderte Untersuchung der Zeitableitung dieser Matrix nötig; dies führt
neuerlich auf den
Vektor der Winkelgeschwindigkeit mit den Komponenten .
Wir betrachten zunächst eine reine Drehung, also Gl. (8.5) mit
; daher
ist . Ebenso sei der Punkt fix in (Abb. 8.3):
const. |
(827) |
Die Matrixelemente der Drehmatrix sind miteinander verknüpft durch die
Orthonormierungsrelationen (8.9). Von diesen wird das System (a) nach
der Zeit abgeleitet:
Man sieht: Die Matrix
ist schiefsymmetrisch. Sie enthält (wie auch jeder
schiefsymmetrsiche Tensor 2. Stufe in 3 Dimensionen) nur drei unabhängige Elemente. Daher kann man
einen dreidimensionalen Vektor zuordnen. Dafür wählen wir folgende Definition:
|
(828) |
Überschieben dieser Gleichung mit
gibt mit den Orthonormierungsrelationen (8.7)
folgenden Ausdruck für die Zeitableitung von :
sind die Komponenten des Vektors
der Winkelgschwindigkeit,
und zwar bezogen auf das raumfeste System . Diese Komponenten können gemäß Gl. (8.9)
ins bewegte System transformiert werden (
). Damit,
mit den Orthonormierungsrelationen (8.7) und mit der Transformationsformel für einen
Tensor 3. Stufe
bekommt man aus (8.29a):
|
(829a) |
Gln. (8.29a) und (8.29b) dienen zur Ersetzung der
Zeitableitung
; Gl. (8.29a) wird
verwendet, wenn man die Winkelgeschwindigkeit im raumfesten System ausdrücken
will, Gl. (8.29a) im körperfesten. In beiden Formeln werden die Größen, die
zunächst in berechnet worden sind, mittels eines ins körperfeste
System transformiert und umgekehrt.
Zur Interpretation des Vektors
, der in
Gl. (8.28) definiert worden ist, differenzieren wir Gl. (8.5)
(mit
) nach der Zeit und setzen Gl. (8.5) und
(8.29a) ein:
Abbildung 8.4:
Vektor der Winkelgeschwindigkeit.
|
Aus dieser Gleichung und aus Abb. 8.4 sieht man, daß der
Vektor
eine Drehung
vermittelt, denn die Geschwindigkeit steht senkrecht zu
und zu
. Der Einheitsvektor
gibt die momentane Drehachse,
der Betrag die Geschwindigkeit der Drehung, also die Winkelgeschwindigkeit.
Man kann auch Gl. (8.30) als eine Definition der Winkelgeschwindigkeit betrachten. Man sieht,
daß dieser Vektor nicht eine Ableitung ist, aber über eine Ableitung auf der linken
Seite der Gleichung definiert ist. Deswegen stellt im allg. der Vektor der Winkelgeschwindigkeit
keine Ableitung eines Vektors dar (
, er ist
anholonom. Solche ''Geschwindigkeiten'', die nur über Linearkombinationen von
Geschwindigkeiten und nicht durch Ableitungen definiert sind, heißen ''Quasikoordinaten''
(vgl. Gl. (11.22)).
Deswegen ist es in manchen Fällen zweckmäßig, von der Winkelgeschwindigkeit auf die
Eulerschen Winkel und deren Zeitableitungen überzugehen. Letztere Größen sind holonom, also
Ableitungen von Funktionen.
Die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit
lassen sich auch durch die
Eulerschen Winkel, §8.3, und deren Zeitableitungen ausdrücken.
Dazu wird die gesamte Drehung zerlegt
in eine solche um
mit der Winkelgeschwindigkeit
,
in eine solche um mit der Winkelgeschwindigkeit
und in die Drehung um
mit der Winkelgeschwindigkeit
.
Man erhält die Komponenten bzw. , wenn man für
die Komponenten bezüglich bzw. ,
Gln. (8.16), nimmt.
|
(831) |
Die Winkelgeschwindigkeiten
sind Ableitungen der holonomen Koordinaten
.
Dagegen sind die Komponenten des Vektors der Winkelgeschwindigkeit
anholonom.
Ableitung der Geschwindigkeit, Beschleunigung und der
Bewegungsgleichungen im bewegten System
Zur Ableitung eines allgemeinen Ausdrucks für die Transformation der
Geschwindigkeit wird Gl. (8.5) nach der Zeit differenziert. Dabei wird
berücksichtigt, daß , und Funktionen der Zeit
sind.
wird mittels Gl. (8.29) eliminiert.
Benutzt man zur Elimination von
Gl. (8.29b), dann
erhält man eine zweite Gleichung:
|
(832a) |
In der symbolischen Schreibweise der Vektorrechnung wird
Gl. (8.32a) folgendermaßen geschrieben:
|
(832a) |
Darin bedeutet
, daß nur die Komponenten von
, nicht aber
die zeitlich veränderlichen Basisvektoren von nach der Zeit differenziert
werden. Die Schreibweise von Gl. (8.32c) erscheint kompakter als
die der Gln. (8.32a) oder (8.32b). Jedoch besteht in
Gl. (8.32c) manchmal Unklarheit, welche Größen in welchem System zu
berechnen sind. Diese Schwierigkeit wird sehr groß, wenn mehrere Systeme mit
verschiedenen relativen Bewegungen vorkommmen.
Für die zeitliche Änderung eines echten Vektors
ergibt sich aus
Gl. (8.32a):
|
(833) |
Speziell für die Winkelgeschwindigkeit
folgt daraus:
|
(834) |
Differentiation der Gln. (8.32) und nochmalige Verwendung von
Gln. (8.29) gibt für die Beschleunigung
Zur Interpretation der Zentripetalbeschleunigung wählen wir wieder den
Spezialfall von Gl. (8.27) mit
Abbildung 8.5:
Vektor der Zentripetalbeschleunigung.
|
Durch die Rotation des Systems wird der Massenpunkt senkrecht zur Drehachse
einwärts beschleunigt (Abb. 8.5). Die Coriolisbeschleunigung erfahren nur
Körper, die sich relativ zu einem rotierenden System bewegen. Das System wird
unter der fliegenden Masse weggedreht. Für einen körperfesten Beobachter ist
die Bahn eines frei fliegenden Körpers nicht mehr eine Gerade.
Die Bewegungsgleichungen im körperfesten System erhält man aus der
im raumfesten Inertialsystem gültigen Bewegungsgleichung
, indem man für
(8.35b) einsetzt und durch
Überschieben mit
ins körperfeste System transformiert.
Umordnen der Terme ergibt:
|
(836) |
enthält die eingeprägten Kräfte. Wenn diese im raumfesten System
gegeben sind, müssen sie ins körperfeste transformiert werden,
Gl. (8.9). Die anderen Terme auf der rechten Seite von
Gl. (8.36) resultieren aus der Bewegung des Bezugssystems und
werden daher Trägheits- oder Scheinkräfte genannt. Z.B. wird ein im
körperfesten System fixer Punkt bei Rotation zum Zentrum hin
beschleunigt. Ist an diesem Punkt eine Masse, so wird sie sich auf Grund
ihrer Trägheit dieser zentripetalen Beschleunigung widersetzen, sie wird
''scheinbar'' nach außen gezogen (Zentrifugalkraft, vgl. Abb. 8.5.
Anwendungen
Freier Fall auf der rotierenden Erde
Dieser wird durch Gl. (8.36) beschrieben. Das körperfeste System
liegt auf der Erdoberfläche (siehe Abb. 8.6). ist die
geographische Breite. Die Transformationsmatrix ist:
mit
Abbildung 8.6:
Freier Fall auf rotierende Erde.
|
Damit ergibt sich für die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit:
|
(837) |
Dieses Resultat läßt sich auch aus Abb. 8.6 ablesen. Die
Translationsbeschleunigung ist
Die Fallhöhe sei klein gegen die Erddimension. Dann kann man mit der
konstanten Fallbeschleunigung arbeiten. In letzterer ist schon zum
Teil die Führungsbeschleunigung enthalten; diese ist überdies wegen der
Kleinheit der Winkelgeschwindigkeit der Erde
als quadratisch in
gegenüber der in
linearen
Coriolisbeschleunigung vernachlässigbar. Damit erhält man aus
(8.36) die Bewegungsgleichung:
Dieses System von Differentialgelichungen läßt sich exakt lösen. Doch ist es
zweckmäßiger, ein Näherungsverfahren heranzuziehen. Dieses beruht auf der
Tatsache, daß die Wirkung der Corioliskraft klein ist im Vergleich zur
Fallbeschleunigung. Allgemein wird (8.39) geschrieben als
|
(840) |
ist hier die Corioliskraft und wegen ihrer Kleinheit im
Vergleich zu
heißt
die
Störung. Zuerst wird die ungestörte Bewegungsgleichung
gelöst; man erhält
als nullte Näherung. Letztere wird
in die rechte Seite von Gl. (8.40) eingesetzt. Die Gleichung für
die so erhaltene erste Näherung
|
(840a) |
läßt sich leichter lösen als die exakte Gl. (8.40). In vielen
Fällen liefert die Lösung von Gl. (8.40b) eine hinreichende
Näherung.
Die Anwendung dieses Verfahrens auf Gl. (8.39) läuft so: Die
Gleichungen der ungestörten Bewegung sind:
|
(841) |
Ihre Lösungen zu den Anfangsbedingungen sind:
Diese werden in die rechte Seite von Gl. (8.39) eingesetzt und
geben
|
(843) |
Integration gibt unter Berücksichtigung der Anfangsbedingungen
(8.42) die folgende erste Näherung:
|
(844) |
Die Falldauer bis zum Boden und die Abweichung in betragen
|
(845) |
Für m und
gibt dies eine Ostabweichung
cm.
Der Foucaultsche Pendelversuch
Der Focaultsche Pendelversuch ist darauf ausgerichtet, die Rotation der Erde
relativ zum Inertialsystem des Fixsternhimmels zu zeigen. Bei der Beobachtung
der Schwingung eines Pendels von einem erdfixen System aus, übt die
Corioliskraft einen Einfluß auf die bewegte Pendelmasse. Wir werden zeigen,
daß sie zu einer Drehung der Schwingungsebene des Pendels relativ zum
Erdsystem führt.
Die Bewegungsgleichung für den Foucaultschen Pendelversuch erhält man aus der
für den freien Fall auf der rotierdenden Erde, Gl. (8.39), indem
man die Nebenbedingung für die Führung auf der Kugelfläche mit dem Radius
( = Pendellänge) hinzufügt:
Gemäß Gl. (6.6) tritt zu den obigen beiden eingeprägten Kräften in
der Bewegungsgleichung noch die Zwangskraft hinzu. Die neue
Bewegungsgleichung ist daher (mit
statt mit
als
Lagrangeschem Multiplikator)
Dieses System wird näherungsweise für kleine Ausschläge gelöst
Wegen der Kleinheit von
, Gl. (8.38), wird in der
letzten der obigen Bewegungsgleichungen (8.47) der Term
proportional
gegen vernachlässigt. Für kleine Ausschläge
gestattet die resultierende Gleichung den Lagrangeschen Multiplikator zu
bestimmen:
Dieser Wert wird in die beiden Bewegungsgleichungen für und ,
Gl. (8.47), eingesetzt; die resultierenden Gleichungen werden zu
einer einzigen Differentialgleichung für die komplexe Variable
vereinigt:
Letztere wird durch Exponentialansatz gelöst
Zu den Anfangsbedingungen
ergibt sich als Lösung und deren Zeitableitung:
Da
Nullstellen hat, verschwindet für diese Werte von
; es sind also
und
gleichzeitig Null, die
Bahnkurve hat an diesen Stellen Spitzen; s. Abb. 8.7. Die Zeit zwischen dem
Durchlaufen zweier aufeinanderfolgender Spitzen, also der Abstand zweier
aufeinanderfolgender Nullstellen von
, ist die halbe
Schwingungsdauer des Pendels
Der Winkel
zwischen den momentanen Schwingungsebenen zur Zeit
und zur Zeit ist
Zum Abschluß ein Zahlenbeispiel für
aus (8.38):
Abbildung 8.7:
Drehung der Schwingungsebenen eines Pendels aufgrund der Rotation
der Erde. Die Breitenabhängigkeit des Foucaultschen Pendels wird im
Notebook K8FoucaultP.nb
simuliert.
|
Die Lamorpräzession
In einem Inertialsystem werde einem gegebenen eingeprägten Kraftfeld
ein homogenes Magnetfeld
überlagert, das so
schwach ist, daß die Lorentzkraft auf ein Teilchen der Ladung klein ist
im Vergleich zu
. Das Theorem von Larmor besagt, daß
unter dieser Bedingung die Lorentzkraft nur zu einer Rotation der ungestörten
Bahn mit der Winkelgeschwindigkeit
|
(852) |
(Larmorpräzession) führt.
heißt Lamorfrequenz. Z.B. ein
Elektron bewegt sich im elektorstatischen Feld des Atomkerns. Seine Bahn ist
eine Keplerellipse. Wird dieses Atom in ein schaches homogenes Magnetfeld
gebracht, dann rotiert die Keplerellipse mit
um die
magnetische Feldrichtung. In einem beliebigen Zentralkraftfeld ist die Bahn
eben. Unter dem Einfluß des zusätzlichen schwachen Magnetfeldes rotiert die
Bahnnormale (prop. dem Drehimpulsvektor) mit der Frequenz
auf einem Kegel, dessen Achse mit der Richtung des
Magnetfeldes zusammenfällt.
Dieses Theorem ist besonders wichtig in der Atomphysik für Systeme mit
mehreren Elektronen; deren Bewegungsgleichungen lassen sich nur schwer
lösen. Das Larmorsche Theorem gestattet es, die Aufspaltung der
Spektrallinien durch ein Magnetfeld, den ZEEMANEFFEKT, unmittelbar
zu berechnen.
Zur Illustration betrachten wir einen harmonischen Oszillator in einem
Magnetfeld. Der Einfachheit halber nehmen wir an, die Anfangsbedingungen
seien derart, daß die Bewegung auf die Ebene senkrecht zu
() beschränkt ist
Die beiden Bewegungsgleichungen werden, wie angedeutet, zu einer komplexen
vereinigt und diese mittels Exponentialansatz gelöst
Bei der Berechung der Näherungswerte für
und
wurde berücksichtigt, daß die Lorentzkraft klein ist
gegnüber der elastischen Bindung, d.h.
. Man sieht bereits hier, daß in dieser Näherung die
Bewegung im Magnetfeld beschrieben ist durch den Ausdruck in der Klammer, der
einer ungestörten Oszillation entspricht, während der Vorfaktor die Rotation
mit der Larmorfrequenz
widergibt. Setzen wir
, reell, so entspricht dies einer Oszillation längs des
Strahls
, ; die vollständige Näherungslösung enthält
zusätzlich eine Rotation dieser Strecke mit der Larmorfrequenz
.
Beweis des Larmorschen Theorems: In einem Inertialsystem lautet die
Bewegungsgleichung:
|
(853) |
In einem System, das mit konstanter Winkelgeschwindigkeit
rotiert, lautet die Bewegungsgleichung (Gl. (8.53))
|
(854) |
Der Zentrifugalterm kann vernachläßigt werden, wenn
klein ist. Dann heben sich die Lorentzkraft und die Corioliskraft auf, wenn
gewählt wird. Wegen Gl. (8.9)
gilt dann die Behauptung (8.52).
Ist
eine Zentralkraft, dann ist der Drehimpuls zeitlich
konstant in einem Inertialsystem. Für
und
unter den angegebenen Näherungen hat auch die Bewegungsgleichung
(8.54) die gleiche Form wie in einem Inertialsystem. Im
rotierenden System ist also der Drehimpulsvektor zeitlich konstant. Gemäß
(8.9) und (8.33) gilt dann im raumfesten System:
|
(855) |
Es ist nicht schwer mit Hilfe dieser Gleichung zu zeigen, daß das Quadrat
und die Komponente von
in Richtung von
, also , konstant sind. Der Drehimpulsvektor
bewegt sich also auf einem Kegel, dessen Achse mit der Feldrichtung
zusammenfällt.
Mitbewegte Basissysteme für krummlinige orthogonale
Koordinatensystem
Die Problemstellung wird zuerst an einem Beispiel erklärt. Die Bewegung eines
Massenpunktes soll in ebenen Polarkoordinaten beschrieben werden
(Abb. 8.8). Der Ortsvektor
|
(856) |
Abbildung 8.8:
Bewegung eines Massenpunktes.
|
der die augenblickliche Lage des Massenpunktes angibt, läuft mit dem bewegten
Massenpunkt mit; damit dreht sich
mit der Bewegung des
Massenpunktes mit. und
sind beide Funktionen der
Zeit. Ebenso dreht sich der zu
senkrechte Einheitsvektor
. Dies muß bei der Berechnung der Geschwindigkeit und
der Beschleunigung berücksichtigt werden. Im Zeitintervall bewegt
sich der Massenpunkt P nach P'. Aus Abb. 8.8
ersieht man, daß die Inkremente
und
gegeben sind durch
|
(857) |
Diese Transformationsgleichungen erhält man auch auf folgende Weise. Man gibt
die Einheitsvektoren
und
in
kartesischen Koordinaten an:
|
(858) |
Differentiation nach der Zeit gibt dann wieder
Dieses Verfahren ist bei komplizierten krummlinigen Koordinatensystemen
leichter durchzuführen als die der Abb. 8.8
entsprechenden geometrischen Überlegungen.
Mit Hilfe der Gln. (8.57) erhält man für die Geschwindigkeit und
Beschleunigung:
Für die Bewegung eines Massenpunktes im Felde einer Zentralkraft ergibt sich,
wenn man ebene Polarkoordinaten in der Bahnebene mit dem Ursprung im
Kraftzentrum () verwendet:
In Zylinderkoordinaten , , findet man mittels
Gln. (8.57) an Stelle von Gln. (8.56) und
(8.59)
Das in Gln. (8.58) und (8.57a) verwendete Verfahren wird
nun allgemein für beliebige krummlinige orthogonale Koordinaten ,
, angeschrieben. Aus geometrischen Überlegungen berechnet
man die Einheitsvektoren
, ,
in
kartesischen Koordinaten. Dies sind die normierten Tangentenvektoren an die
drei Raumkurven
,
const.,
const.
und zyklisch.
Daraus findet man die Zeitableitung der Vektoren
|
(863) |
Die drei partiellen Ableitungen jedes Einheitsvektors lassen sich auf das
vollständige System von Basisvektoren aufspannen:
|
(864) |
Die 27 Funktionen
hängen von den , ,
ab. Einsetzen von Gl. (8.64) in Gl. (8.63) gibt:
|
(865) |
Aus der Orthogonalität der Basisvektoren
(
) und ihrer Normiertheit
(
,
) folgt:
. Der Ortsvektor
wird auf
die Basisvektoren aufgespannt:
|
(866) |
Zur Berechnung der Geschwindigkeit werden die Zeitableitungen der
Einheitsvektoren durch die Ausdrücke von Gl. (8.65) ersetzt:
Differentiation von
und nochmalige Anwendung von
Gl. (8.65) gibt die entsprechenden Ausdrücke für die Komponenten
der Beschleunigung.
Z.B. lauten in Kugelkoordinaten , , die
Basiseinheitsvektoren:
Den Gleichungen (8.65) (vgl. (8.57)) entsprechen nun:
Damit erhält man für Lage, Geschwindigkeit und Beschleunigung:
Damit erhält man für die Bewegungsgleichung im Felde einer Zentralkraft:
Die in der letzten Zeile benützte Komponente des Drehimpulses findet man aus:
Das Quadrat des Drehimpulses setzt man in die erste der obigen
Bewegungsgleichungen (8.68) ein, ebenso das Potential für die
radiale Kraft
. Dann erhält man den
Energiesatz:
|
(870) |
Christian Sommer
2003-01-27