Unterabschnitte
Die spezielle Relativitätstheorie beruht auf zwei Grundannahmen (= Prinzipien), dem
1. Relativitätsprinzip, und dem
2. Prinzip von der Konstanz der Vakuumlichtgeschwindigkeit c.
Beide Annahmen werden durch experimentelle Befunde nahegelegt. Doch geht auch eine
gewisse philosophische Grundeinstellung darin ein.
Wiederholung der Definition eines Inertialsystems aus §8.1:
In einem solchen System gehorcht ein Massenpunkt dem I. Newtonschen Axiom:
''Ein Massenpunkt bleibt in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung,
wenn keine Kraft auf ihn einwirkt.''
Ein solches System ist realisiert in einem Bezugssystem, das sich
relativ zum Fixsternhimmel in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung befindet.
Das Einsteinsche Relativitätsprinzip besagt, daß alle
physikalischen Vorgänge in allen Inertialsystemen bei sonst gleichen
Bedingungen gleich ablaufen. Es ist durch kein Experiment möglich,
eine absolute Geschwindigkeit eines Systems festzustellen.
Daher muß auch die mathematische Beschreibung aller physikalischen
Vorgänge in allen Inertialsystemen gleichartig sein (Kovarianz).
Ein Spezialfall dieses Einsteinschen Relativitätsprinzips ist das
Galileische Relativitätsprinzip, das nur für die klassische Mechanik
(Mechanik für Teilchengeschwindigkeiten ) gilt: Man kann aufgrund
mechanischer Experimente keine Aussagen über den Bewegungszustand eines
gleichförmig bewegten Systems, in dem man sich befindet, machen.
Dies sind Transformationsgleichungen zwischen zwei gleichförmig bewegten
Systemen: Der Ursprung des Systems (das ''bewegte'' System:
Koordinaten , , , Zeit ) bewegt sich relativ zum System
(das ''ruhende'' System, , , , Ursprung 0, Zeit
),s. Abb. 10.1, mit der Geschwindigkeit :
Abbildung:
Ruhendes und bewegtes System; für beide gibt es eine gemeinsame Uhr,
Gl. (10.2).
|
Die vorletzte Gleichung beschreibt die absolute Zeit, unabhängig vom
Bewegungszustand des Systems. (Eine einzige Uhr, die von allen Punkten
aller Systeme aus abgelesen wird.)
In der Mechanik gibt es nur Kräfte, die zwischen Teilchen wirken und
nur von deren gegenseitiger Lage abhängen. Weiters wirken sie in der
Verbindungsgeraden der Teilchen.
Bewegungsvorgang von aus betrachtet:
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(104) |
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(105) |
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actio = reactio. |
(106) |
Derselbe Vorgang vom System aus betrachtet:
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(107) |
Daraus folgt: Die Kräfte sind in beiden Systemen gleich, weil sie nur
vom relativen Abstand abhängen und dieser in beiden Systemen gleich ist.
Aus den Transformationsgleichungen (10.3) und (10.2) folgt:
da
const. für gleichförmige Bewegung. Damit ergibt sich für
die Bewegungsgleichungen im System :
Die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik sind nicht invariant
gegenüber den Galileitransformationen (10.1) - (10.3).
Eine Reihe von Experimenten hat aber gezeigt, daß elektromagnetische Vorgänge
in beiden Systemen, und , genau wie die mechanischen Vorgänge in
gleicher Weise ablaufen. Um das Relativitätsprinzip zu erfüllen, muß man
die Transformationsgleichungen (10.1) - (10.3) modifizieren;
dies gibt die Lorentztransformationen.
m/s .
Gemäß diesem Prinzip ist die Vakuumlichtgeschwindigkeit sowohl vom
Bewegungszustand des Beobachters als auch von dem der Lichtquelle völlig
unabhängig (bei alleiniger Betrachtung von Inertialsystemen). In jedem
Inertialsystem findet man, z.B., für die Ausbreitung der Wellenfront
eines Lichtblitzes den Wert , selbst wenn die Quelle relativ zu
diesem System in gleichförmiger Bewegung ist. Bei der Schaffung der
Elektrodynamik zu Ende des vergangenen Jahrhunderts hielt man für
die Ausbreitung der elektromgnetischen Wellen ein Medium
(den sogenannten Äther) für nötig analog wie die Luft
(oder einen anderen elastisch deformierbaren Körper) für die
Ausbreitung von Schallwellen.
Außerdem glaubte man (irrigerweise), daß ds Relativitätsprinzip
notwendigerweise die Galileitransformation (10.1) - (10.3)
nach sich zieht. Daraus schloß man (irrigerweise), daß die
Elektrodynamik das Relativitätsprinzip nicht erfüllt und daß
es ein ausgezeichnetes Koordinatensystem gibt, das im ''"Ather'' ruht.
Man versuchte nun einen ''"Atherwind'' festzustellen, der dadurch
entstehen sollte, daß sich die Erde bei ihrer Revolution um die
Sonne relativ zum Äther bewegt.
Die Messung der Schallgeschwindigkeit kann im Prinzip auf einer Meßstrecke
erfolgen mit Nachrichtenübermittlung mittels elektrischer oder optischer
Signale (deren Geschwindigkeit () groß gegenüber der zu messenden
Schallgeschwindigkeit ist) vom Anfang zum Ende der Strecke (Messung der
''Einweggeschwindigkeit''). Ein derartiges Vorgehen ist bei der Messung
der Vakuumlichtgeschwindigkeit nicht möglich, da man keine Art von
Signalen kennt, deren Ausbreitungsgeschwindigkeit groß gegen ist.
Man ist daher gezwungen, das Lichtsignal, dessen Ausbreitungsgeschwindigkeit
gemessen werden soll, am Ende der Messtrecke zu reflektieren und kann
daher nur die Laufzeit für Hin- und Rückweg messen (''Zweiweggeschwindigkeit'').
Das wichtigste der diesbezüglichen Experimente war der Michelsonversuch:
(Im Äther ist die Lichtgeschwindigkeit gemäß der damaligen Ansicht ,
für andere Systeme muß man gemäß (10.3) umrechnen, (Abb. 10.2(a)).
Der gesamte Meßapparat bewegt
sich relativ zum Äther mit der Geschwindigkeit . Ein Beobachter im mitbewegten
System stellt folgende Laufzeit für den Weg PSP fest (P =
Position des halbdurchlässigen Spiegels):
|
(1012) |
Ebenso ergibt sich im mitbewegten System aus
folgende Zeit für den Lauf PSP (Abb. 10.2(b)):
Aus den beiden Laufzeiten
mit
|
(1013) |
ergibt sich folgender Zeit- und damit auch Phasenunterschied
im Beobachtungsfernrohr:
Ist der Apparat um 90^&cir#circ; verdreht, ergeben sich folgende
Änderungen und folgender Laufzeit- und Phasenunterschied:
Wird nun das Interferometer während des Beobachtugsvorganges
gedreht, sollte dadurch folgender Laufzeit- und damit auch
Phasenunterschied resultieren:
Der unerwartete Nulleffekt konnte nur durch eine zusätzliche Hypothese
(Fizgerald, Lorentz) erklärt werden: Bei Bewegung relativ zu Äther
verkürzen sich Längen in der Bewegungsrichtung um den Faktor
; Längen in den
transversalen Richtungen bleiben unverändert. Dann erhält man in den obigen
Gleichungen für
Damit sind aber noch nicht alle Schwierigkeiten beseitigt;
um den negativen Ausgang weiterer Experimente deuten zu können,
waren noch zusätzliche Hypothesen über die Zeitdilatation
und die Veränderung der Kräfte bei Bewegung relativ zum
Äther erforderlich. Der Äther wird damit unbeobachtbar.
Einstein vereinfachte 1905 die Situation in radikaler und
revolutionärer Weise, indem er den Äther für die Lichtausbreitung
für unnötig erklärte und die Gültigkeit des Relativitätsprinzips
für alle physikalischen Vorgänge forderte. Weiters postulierte er,
daß die Vakuumlichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen den Wert
hat. Er analysierte den Begriff der Gleichzeitigkeit und zeigte,
daß jedes Inertialsystem seine eigene Zeit hat und daß Zeitangaben
von einem System ins andere mittels der Lorentztransformation
durchgeführt werden müssen.
System : Koordinaten
Zeit ;
System : Koordinaten
Zeit .
Zur Vereinfachung der Berechnung seien die beiden Koordinatensysteme
parallel und die Geschwindigkeit des Ursprungs von liege in der
1-Achse von :
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(1015) |
Zur Zeit
sollen die Ursprünge
zusammenfallen und zu dieser Zeit werde ein Lichtblitz vom Ursprung
ausgesendet. Zur in gemessenen Zeit ist die Wellenfront an
Es gilt dann:
|
(1016) |
Diese Gleichung muß invarianten Charakter haben, daher gilt in
:
|
(1017) |
Zur Vereinfachung der Schreibweise wird
und
gesetzt.
Man fordert nun eine lineare Transformation:
|
(1018) |
Für die Linearität einer Transformation zwischen und
sprechen folgende Tatsachen:
- Die Homogenität und Isotropie des freien Raumes.
- Die Bewegung eines kräftefreien Teilchens relativ
zu einem Inertialsystem wird durch eine lineare Gleichung
in den beschrieben. Dies muß für jedes Inertialsystem
gelten. Die obige Transformation aus einem Inertialsystem in ein
anderes muß daher eine lineare Gleichung wieder affin in eine solche transformieren.
Bei unserer Wahl der Bewegungsrichtung gilt:
|
(1019) |
d.h. wir können von den Koordinaten und völlig absehen und
die weiteren Überlegungen in der 0,1-Ebene durchführen:
Setzt man diese Gln. in die aus Gln. (10.16) und (10.17) sich
ergebende Bedingung ein, so folgt:
Die erste Gleichung der letzten Zeile wird durch den nachfolgenden Ansatz befriedigt:
aus der zweiten folgt:
daraus wegen der dritten:
Es wird gewählt. Denn für erhielte man aus
(10.20) und (10.21) eine Transformationsgleichung, bei
der entweder die Zeit umgekehrt und/oder das Rechtssystem im Raum in ein
Linkssystem transformiert werden würde. Es ist also:
Der Ursprung von ' bewegt sich mit der Geschwindigkeit relativ zu (Gl. (10.15)):
|
(1024) |
Damit folgt aus obigen Transformationsgleichungen:
und durch Umrechnung:
Damit haben wir die Lorentztransformation für eine Bewegung längs
der -Achse mit der Geschwindigkeit
abgeleitet:
|
(1025) |
Die inversen Transformationen erhält man durch Auflösung des obigen
Gleichungssystems, einfacher noch durch Anwendung des Relativitätsprinzips
(Wechsel des Systems ist gleichbedeutend mit Umkehr der Geschwindigkeit):
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(1026) |
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(1027) |
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(1028) |
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(1029) |
Diese Lorentztransformationen bilden eine Gruppe. Alle physikalischen Größen
transformieren sich gemäß diesen Transformationsgleichungen.
Das augenscheinlichste Ergebnis dieser neuen Transformationsgleichungen ist,
daß die Zeit keine Invariante mehr ist.
Als Grenzfall für und
enthalten obige Gleichungen die
Galileitransformationen, Gln. (10.1) - (10.3).
Für einen Beobachter B in ist das ''Ruhesystem'' und das ''bewegte System'';
für einen Beobachter B in verhält es sich gerade umgekehrt. Wir nehmen von den
obigen Lorentztransformationen nur die Gleichung für die zur Systembewegung parallele
Komponente und die Zeit.
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(a) (b) |
(1030) |
|
|
(a) (b) |
(1031) |
In jedem System werden alle Uhren untereinander synchronisiert. Z.B. wird zur
Zeit
vom Ursprung
ein Lichtblitz ausgesendet.
In jedem System befindet sich bei jeder Uhr ein Spiegel,
der den Lichtblitz zum Ursprung reflektiert. Die Hälfte der ganzen Laufzeit ist
dann die Zeit, die die Uhr in dem Moment anzeigen muß,
als bei ihr der Lichtblitz eingetroffen ist.
B stellt fest, daß zwei Ereignisse an verschiedenen Orten seines Systems
gleichzeitig eingetreten sind:
Z.B. sind die Ereignisse das Aufblitzen von Lichtern und diese Lichtblitze
treffen bei dem in befindlichen Beobachter B' gleichzeitig ein.
Gemäß Gln. (10.30b) und (10.31b) gilt dann für den
Beobachter B in :
Dem Beobachter B erscheinen die beiden Ereignisse also nicht gleichzeitig.
Wenn, umgekehrt, B zwei Ereignisse an verschiedenen Orten gleichzeitig
erscheinen, so sind diese für B nicht gleichzeitig.
Die Gleichzeitigkeit ist also ein Begriff, der jeweils nur
in einem System Sinn hat, also keine Invariante der Transformationsgruppe ist.
Wir betrachten zwei Ereignisse, die im Ursprung von
zu den Zeiten und
stattfinden (etwa Ablesen einer Uhr, die sich im Ursprung befindet).
Daß B für die beiden Ereignisse verschiedene Ortskoordinaten mißt,
ist aufgrund des Bewegungszustandes von leicht einsichtig. Daß B
jedoch für den Zeitunterschied die von
verschiedene
Zeitspanne
mißt, ist ein vom klassischen Standpunkt
abweichendes Resultat. Da
ist,
ist
. Man sagt daher auch:
''Bewegte Uhren gehen langsamer''. Genau dasselbe stellt
B' für eine in ruhende Uhr fest; sie ist für B
eine bewegte Uhr und scheint ihm langsamer zu gehen. Wir schreiben dies in
der folgenden Form, weisen aber darauf hin, daß diese Gleichung mit grosser
Vorsicht anzuwenden ist; eigentlich sollte man für Zeitumrechnungen immer
Gleichung wie in den Lorentztransformationen benutzen.
|
(1032) |
Operationelle Beobachtung der Zeitdilatation
Beobachter B hat in seinem System längs der -Achse an allen Orten
Uhren aufgestellt und synchronisiert (in seinem System ist ja der
Begriff der Gleichzeitigkeit sinnvoll). Die Uhren des Systems
(dort ruhend) fliegen an denen des Systems vorbei und werden mit den
jeweils gegenüberliegenden Uhren von verglichen.
Dies ergibt zu den Zeitpunkten bzw.
:
Für einen Uhrenvergleich zum Nachweis der Zeitdilatation benötigt
man mindestens 3 Uhren (z.B. in in ; in in
und ).
Abbildung 10.3:
Zeitanzeigen der Uhren in verschiedenen bewegten Systemen
|
Experimenteller Nachweis der Zeitdilatation an Myonen:
Myonen entstehen beim radioaktiven Zerfall des Pions (Pi-Mesons).
Das Myon könnte als ein schweres Elektron bezeichnet werden
(
MeV);
es hat einen radioaktiven Zerfall mit einer Lebensdauer von s:
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(1033) |
Das Pion wird mittels einer Kernreaktion erzeugt:
Kern |
|
Kern |
|
|
|
(radioaktiver Zerfall) |
|
Myonen werden von einfallenden Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung
über die obige Pionenreaktion erzeugt und fliegen mit annähernd
Lichtgeschwindigkeit weiter und können daher in
s
höchstens eine Strecke von 660 m zurücklegen. Man kann die Myonen aber noch
in Meereshöhe, also nach einem Flugweg von 6 - 10 km, nachweisen. Die aus der
Lorentztransformation folgende Zeitdilatation erklärt diese Erscheinung.
Abbildung:
Myonen in der Atmosphäre
|
Wenn ein Myon mit
, d.h.
, fliegt,
dann mißt man von der Erde aus anstelle von
s
die längere mittlere Lebensdauer von
s.
Diese Zeit reicht aus, um eine Strecke von 6 km zurückzulegen.
Dieser Effekt wurde bei Beobachtungen genau untersucht. Wegen des
statistischen Charakters des Zerfallsgesetzes ist dieses Experiment
nicht so einfach durchzuführen, wie in der obigen Abbildung schematisiert.
Es wurden die Myonenzahlen in verschiedenen Höhen registriert und
daraus die Lebensdauer deduziert.(s. J. H. Smith, §3.5).
Zwei Uhren, eine fliegt im Raumschiff mit, die andere bleibt auf der Erde.
(Von der Wirkung des Gravitationsfeldes auf die Uhr, die im Rahmen der
allgemeinen Relativitätstheorie behandelt werden kann, wird abgesehen.)
Das Raumschiff beschleunigt bis nahe an und fliegt gleichförmig bis zu einem
entfernten Himmelskörper, kehrt dort um
und fliegt gleichförmig wieder zurück.
Abbildung 10.5:
Flug eines Raumschiffs von der Erde zur Sonne
|
Ein Beobachter, der am Startpunkt der Rakete in Ruhe zurückbleibt,
mißt die folgende Flugzeit:
bis zum Eintreffen des Raumschiffes am Zielpunkt. Ein Beobachter im fliegenden
Raumschiff liest von seiner Uhr die Zeit (= Eigenzeit)
ab. Da
ist, scheint für ihn die Zeit langsamer vergangen
zu sein. Wenn der Raumfahrer zurückkehrt, wird er weniger gealtert sein,
als sein auf der Erde zurückgebliebener Zwillingsbruder
(von Wirkungen des Gravitationsfeldes abgesehen !).
z.B. Erde
-Centauri
4.5 Jahre
Annahme:
Im System des Raumfahrers zeigt die Uhr also nur etwa halb so viel Zeit, wie das Licht
zur Bewältigung dieser Strecke braucht.
Für den auf der Erde verbliebenen Zwillingsbruder vergeht also währenddessen
die 1.11-fache Zeit, die das Licht braucht, um von -Centauri zur
Erde zu gelangen.
Die Anwendung der Speziellen Relativitätstheorie ist in diesem Falle eigentlich
nicht gerechtfertigt, da Beschleunigungen auftreten. Die Behandlung obigen Vorganges
nach der Allgemeinen Relativitätstheorie führt jedoch zum selben Ergebnis. (s. M. Born)
Das g-2-Experiment am Myonspeicherring bei CERN
Die Zeitdilatation kann auch beim g-2 Experiment im Myonenspeicherring
beobachtet werden. Das Myon hat ein magnetisches Moment ;
dieses präzediert im Magnetfeld des Speicherringes
s. Abb. 10.6(a). Die Präzessionsgeschwindigkeit
gestattet es, die Größe von und damit des magnetischen Moments zu bestimmen.
Die Präzession kann beobachtet werden, weil die Emission der Elektronen bzw. Positronen beim
Zerfall des Myons
eine Vorzugsrichtung in Richtung des magnetischen Momentes hat. Die emittierten
Elektronen bzw. Positronen werden mit Zählern registriert. Aus der Abnahme
der Zählrate kann die mittlere Lebensdauer der Myonen nach dem Zerfallsgesetz
(10.33) bestimmt werden, aus der 'Modulation' der e-Potenz das gesuchte g-2.
(s. Abb. 10.6(b)).
Abbildung:
a) Der Myon-Speicherring. b) Zählrate der Elektronen bzw. Positronen
[]
[]
|
Dieses Problem wäre streng genommen auch nicht nach der Speziellen Relativitätstheorie
lösbar. Wir setzen in der Lorentztransformation Tangentialgeschwindigkeit
der umlaufenden Myonen. Für
ergibt sich theoretisch eine
vom Laborsystem (der Erde) aus gemessene Lebensdauer von
s
s.
Gemessen wurde ein Wert von
s. Kleine Diskrepanz aufgrund von Meßfehlern.
In ruht ein Stab der Länge , d.h. ein Beobachter in beschreibt
die Endpunkte des Stabes mit den Koordinaten:
und
Ein Beobachter B in mißt zur Zeit für die beiden Endpunkte die Koordinaten
und
B sagt , der Maßstab habe eine Länge
,
sei also aufgrund der Bewegung verkürzt. Doch gibt es kaum eine Möglichkeit,
diese Lorentzkontraktion
|
(1034) |
experimentell zu beobachten.
Bei ausgedehnten Körpern muß man zusätzlich beachten, daß die von
vom Beobachter weiter entfernten Punkten des Körpers ausgehenden
Lichtstrahlen erst später eintreffen als die von näher gelegenen Teilen.
Dadurch würde ein solcher Körper verzerrt bzw. verdreht erscheinen.
Ein System bewege sich mit
relativ zu . Ein weiteres System
bewege sich mit
relativ zu . Dann ist die Summe
. Da aber auch die Grenzgeschwindigkeit nicht
überschreiten kann, kann die obige Addition der Geschwindigkeiten nicht
richtig sein. Tatsächlich liegt ein Trugschluß vor; dieser wird nur
vermieden, wenn man bei jedem Wert der Geschwindigkeit die Zeit des
betreffenden Systems benutzt.
Abbildung 10.7:
Zum Additionstheorem der Geschwindigkeiten
|
Beide Systeme, und , bewegen sich in -Richtung:
- relativ zu mit Geschwindigkeit ;
- relativ zu mit Geschwindigkeit
;
- relativ zu mit Geschwindigkeit
Damit lautet das Additionstheorem für die (gleichgerichteten) Geschwindigkeiten:
|
(1035) |
Es gilt also nicht mehr das vektorielle Addieren von Geschwindigkeiten wie in
der klassischen Mechanik. Auch folgt daraus, daß die resultierende
Geschwindigkeit immer kleiner ist als , wenn nur und kleiner als
sind. (Z.B.:
.)
Eine experimentelle Überprüfung des obigen Additionstheorems ergibt sich aus
dem Fizeauschen Mitführungsversuch:
Abbildung:
Fizeauschen Mitführungsversuch.
|
Eine Flüssigkeit mit Brechungsindex fließt mit Geschwindigkeit .
In der ruhenden Flüssigkeit ist die Lichtgeschwindigkeit .
Die Lichtgeschwindigkeit im Labor (bei fließendem Wasser) beträgt:
in Übereinstimmung mit dem Experiment.
Bisher wurde angenommen, daß die relative Geschwindigkeit der beiden Systeme S und S'
parallel zur -Achse ist. Nun sei der Vektor der Geschwindigkeit von S' relativ zu S
gleich . Um die Gesetzmäßigkeit anwenden zu können, die sich in den Formeln
(10.25) zeigt, zerlegen wir den Vektor in eine Komponente parallel zu und in eine senkrecht zu . Die senkrechte Komponente bleibt unverändert.
Für die Zeittransformation ist statt die Projektion von auf zu setzen.
Abbildung:
Zur Lorentztransformation bei einer Systemgeschwindigkeiten in
allgemeiner Richtung.
|
Eine gleiche Zerlegung wird auch für
vorgenommen. Aus
Gln. (10.25) folgt sinngemäß:
In diese Formel werden die obigen Zerlegungen für und eingesetzt:
Damit ist die Lorentztransformation für die Bewegung von S relativ zu S' mit
der Geschwindigkeit gefunden:
Diese Lorentztransformationen bilden keine Gruppe. Denn das
Hintereinanderausführen von Lorentztransformationen zu den Geschwindigkeiten
bzw. (mit
)
gibt im allgemeinen eine Transformation,
die auch eine Drehung enthält. Wenn man aber die räumliche Drehgruppe dazunimmt,
dann erhält man eine Gruppe, die Lorentzgruppe.
Da in der Relaltivitätstheorie die Zeit eine system- und ortsabhängige Größe
ist, muß sie zusammen mit den Ortskoordinaten , , zur systembezogenen Beschreibung
eines physikalischen Ereignisses herangezogen werden. Es ist zweckmäßig,
die Zeit als 4. Komponente eines Vektors zu schreiben. Damit diese 4. Komponente
die gleiche Dimension hat wie die drei ersten Komponenten, wird der Lichtweg
statt der reinen Zeit gewählt. Der Raum dieser
vierdimensionalen Vektoren heißt die Minkowskiwelt. Diese wird unten
in der rechten Spalte eingeführt. Zum Vergleich werden die analogen bekannten
Formeln der üblichen dreidimensionalen Vektorrechnung in der linken Spalte angegeben.
Die Minkowskiwelt ist nicht euklidisch. Deswegen gibt es hier ko- (Index unten) und
kontravariante Koordinaten (Index oben); und dies muß bei der Definition des skalaren
Produktes berücksichtigt werden.
3-dimens. Euklidischer Raum
Koordinaten:
Vektor:
Summationsübereinkommen für wiederholte Indices von 1 bis 3.
Inneres Produkt zweier Vektoren:
Norm des Ortsvektors
|
4-dimens. Minkowskiwelt
kontravariante Koordinaten:
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(1038) |
4-Vektor der Raum-Zeit:
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(1039) |
Summationsübereinkommen für wiederholte lateinische Indices von 1 bis 3;
griechische Indices von 0 bis 3. Inneres Produkt zweier 4-Vektoren:
Norm des Raum-Zeit-Vektors:
|
Die Variable heißt die Eigenzeit; sie wird mit einer Uhr gemessen, die im Ursprung,
des Systems des beobachteten Teilchens ruht.
Die Definition des inneren Produkts zweier Vierervektoren gemäß (10.40) wird verständlich,
wenn man auf Gl. (10.42) schaut: Das innere Produkt zweier Vektoren muß invariant bleiben,
im dreidimensionalen Ortsraum beim Drehungen, in der Minkowskiwelt bei Drehungen im
Ortsraum, insbesondere auch bei Lorentztransformationen. Bei letzteren muß aber die Wellenfront
eines Lichtblitzes immer eine Kugel sein, d.h. es muß
invariant bleiben.
Das zwingt uns zu einer entsprechenden Definition des inneren Produkts wie oben in
Gl. (10.41) mittels eines ko- oder kontravarianten Maßtensors. Dieser ist hier
immer diagonal und hat konstante Elemente:
|
(1044) |
Mittels des Maßtensors kann man ko- in kontravariante Vektoren umrechnen und umgekehrt;
man kann ''Indices hinauf- und hinunterziehen'':
Es gibt auch Definitionen des Maßtensors, bei denen die Vorzeichen gerade vertauscht sind,
also ein in der 1. Zeile, drei in den nachfolgenden Zeilen.
Eine andere Möglichkeit die Invarianz der kugelförmigen Wellenfront und damit der obigen
quadratischen Form einzuhalten, besteht darin, statt des reellen Lichtwegs im
Raum-Zeit-Vektor eine vierte rein imaginäre Komponente einzuführen, also diesen
Vektor folgendermaßen zu definieren:
mit
inv.
Das war die ursprüngliche Definition Minkowskis; darin erspart man sich die Unerscheidung
von ko- und kontravarianten Komponenten. Dafür muß man komplex Rechengrößen in Kauf
nehmen, während bei Benutzung der obigen Definitionen mit Maßtensoren alle Rechnungen
im Rellen bleiben. Deswegen hat sich diese durchgesetzt.
Den Koordinatentransformationen im dreidimensionalen Euklidischen Raum entsprechen
hier die Lorentztransformationen:
Koordinatentransformationen:
Drehung des Koordinatensystems:
|
Lorentztransformationen:
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(1045) |
Lorentztransformation für Bewegung längs der -Achse, Gl. (10.25):
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(1046) |
Lorentztransformation für Vektor (= ''boost''),
Gln. (10.36) und (10.37):
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(1047) |
mit
|
Die Matrix der Lorentztransformation (10.47) ist in Kästchenform geschrieben. In der
linken oberen Ecke steht das Element . Rechts davon stehen in der Zeile noch
3 Elemente. In der rechten unteren Ecke ist eine 3 x 3 Matrix; davor steht eine Spalte mit
3 Elementen.
Der Abstand zweier Punkte, insbesondere auch die Norm des Ortsvektors sollen
invariant sein gegenüber einer linearen Koordinatentransformation. Ebenso soll die Norm
des Raum-Zeit-Vektors invariant gegenüber einer Lorentztransformation sein.
Lorentztransformationen:
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(1048) |
|
Die 3 x 3 Matrizen sind reell und orthogonal; sie bilden die Drehgruppe
des
. Die Lorentztransformationen (4 x 4 Matrizen)
bilden die Lorentzgruppe.
Summe und Differenz zweier Vektoren werden wie üblich durch die Summe bzw.
Differenz der jeweiligen Komponenten definiert. Demgemäß definiert man das
Differential des Ortsvektors bzw. des Raum-Zeit-Vektors. ist das
Differential der Eigenzeit, umgerechent gemäß Gl. (10.32).
Relativistische Kinematik
Bei der Definition des Geschwindigkeitsvektors ist zu beachten, daß die
Ausdrücke nicht ganz angepaßt sind, weil selbst eine
Koordinate ist. Man muß nach einem invariaten Parameter ableiten.
Dafür wird die Eigenzeit verwendet.
Man betrachtet den Raum-Zeit-Vektor als Funktion von und
bildet die Ableitung nach , dies gibt die
Vierergeschwindigkeit U. Die Ableitungen nach
haben jedoch hauptsächlich theoretische Bedeutung, da z.B.
Messungen meist im Ruhsystem des Beobachters, also im Laborsystem,
ausgeführt werden. Man kann aber für den Ausdruck
substituieren (s. Gl. (10.32)).
Punkte bezeichnen Ableitungen nach . Im Eigensystem des Teilchens gilt:
|
(1052) |
Da das skalare Produkt invariant ist, muß das letzte Resultat für jeden
Vektor der Vierergeschwindigkeit in jedem System gelten:
|
(1053) |
Die Vierergeschwindigkeit kann also auch in dieser Weise geschrieben werden:
Die Verallgemeinerung des 3-dimensionalen klassischen Impulses,
Gl. (3.18), in die 4-dimensionale Minkowskiwelt führt zum
Viererimpuls:
|
(1054) |
|
Die Masse wird als die Ruhmasse (E. rest mass)
bezeichnet und ist gleich der im Eigensystem des bewegten Teilchens gemessenen Masse;
praktisch ist dies die Masse, die man bei geringer Teilchengeschwindigkeit mißt.
Die bewegte Masse ist:
|
(1055) |
Der Raumanteil des Viererimpulses ist:
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(1056) |
Er geht für geringe Teilchengeschwindigkeit in den gewöhnlichen klassischen
Impuls (Gl. (10.54), linke Seite) über. Die 4. Komponente des Viererimpulses ist
die Energie des Teilchens dividiert durch c. Denn nehmen wir diese
Gleichsetzung vor und entwickeln in eine binomische Reihe
so sieht man, daß der 2. Term die klassische kinetische Energie darstellt,
also müssen die anderen Terme auch Energien darstellen.
wird als die Ruhenergie (E. rest energy)
der Masse bezeichnet. Der Viererimpuls wird auch als der
Energie-Impulsvektor bezeichnet:
|
(1057) |
Für die Relativistische Dynamik muß eine Verallgemeinerung des zweiten
Newtonschen Axioms aufgesucht werden. Die Erfahrung widerspricht Gleichungen der Art:
oder
auch vertragen sich solche Gleichungen nicht mit dem Kalkül der
vierdimensionalen Minkowskiwelt. Zur Verallgemeinerung eignet
sich die Form der klassischen Bewegungsgleichung in (3.17).
Formal setzt man dann an wie in der rechten Spalte:
|
(1058) |
Die ersten drei Komponenten dieser Bewegungsgleichung geben im Laborsystem
mit |
(1059) |
falls für die drei raumartigen Komponenten der Viererkraft gesetzt wird:
|
(1060) |
Um eine Aussage über die nullte (die zeitartige) Komponente der Viererkraft,
, machen zu können, wird zuerst eine Hilfsrelation abgeleitet.
Dazu werden die Vierergeschwindigkeit und die Viererkraft znächst im Ruhesystem
angesetzt. Es zeigt sich, daß ihr skalares Produkt Null ist. Da dieses eine
Lorentzinvariante ist, ist das Produkt in jedem System Null. Daraus kann man
eine Formel für
ableiten:
|
|
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|
|
|
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(1061) |
mit der Kraft auf das Teilchen. Daraus ergibt sich für die nullte Komponente der
Viererkraft:
|
(1062) |
Für eine nicht zeitabhängige Kraft ist die nullte Komponente der Viererkraft proportional
zur Leistung.
Für die Beschleunigung auf relativistische Geschwindigkeiten kommen fast nur
Elementarteilchen oder Ionen in Frage. Für die Bewegung eines geladenen Teilchens in
einem elektromagnetischen Feld besteht die Kraft aus zwei Anteilen:
|
(1063) |
ist die Lorentzkraft:
|
(1064) |
Die Strahlungsrückwirkungskraft
entsteht dadurch, daß jede
beschleunigte Ladung ein elektromagnetisches Feld (elm. Wellen) abstrahlt.
Dieses Feld wirkt auf die Ladung zurück. Diese Strahlungsrückwirkungskraft
ist sehr kompliziert zu berechnen. Da sie oft klein ist, wird sie meist
in einem ersten Näherungsschritt weggelassen und
erst in einem weiteren berücksichtigt, nachdem die Bewegungsgleichungen
ohne diese gelöst worden sind. Unter dieser Vernachlässigung
lautet dann die Bewegungsgleichung im Laborsystem:
|
(1065) |
Für eine zeitunabhängige Kraft , die ein Potential besitzt:
gilt also:
Das ist die Gesamtenergie:
|
(1066) |
Gesamtenergie = Ruhenergie + kinetische Energie + potentielle Energie.
Die Anfangsbedingungen werden in Richtung des elektrischen Feldes gewählt:
Anfangsbedingung:
Damit erfolgt die Bewegung in einer Raumrichtung:
Damit lautet die Bewegungsgleichung:
|
(1067) |
Diese Gleichung kann sofort nach der Zeit integriert werden. Die Anfangsbedingung verleiht
der Integrationskonstanten den Wert 0. Die resultierende Lösung wird quadriert und nach
aufgelöst.
Diese Differentialgleichung kann durch Separation gelöst werden. Die Integration nach der
Zeit wird durch folgende Substition ermöglicht:
Aus der Anfangsbedingung
ergibt sich
und damit die endgültige
Lösung:
|
(1068) |
Diese Formel läßt sich auf folgende Form bringen:
Dazu dienen die neuen Variablen:
in denen die obige Bahngleichung die mathematische Form der Gleichung einer
Hyperbel hat. Deswegen heißt die Bewegung ''Hyperbelbewegung'', obwohl die Bahn
im Ortsraum eine Gerade ist.
Die obige Bahngleichung läßt zwei Näherungen zu: die eine für kleine Zeiten;
die andere für große Zeiten.
Nichtrelativistische Näherung: Für kleine Zeiten ist der zweite Term in der
Wurzel klein; man verwendet die ersten zwei Glieder der Binomialreihe:
und erhält die Lösung der klassischen Mechanik, weil die
Geschwindigkeit gering ist im Vergleich zu .
Extrem relativistische Näherung: Für große Zeiten ist der zweite Term der
Wurzel groß; man zieht diesen vor die Wurzel und verwendet dann wieder die Binomialreihe
für die resultierende Wurzel:
Das Teilchen läuft hier nahezu mit der Lichtgeschwindigkeit . Dies ergibt sich aus der
Ableitung des vorstehenden Ausdrucks nach der Zeit:
Die Kraft und das Potential sind dieselben wie im nichtrelativistischen Fall (§5.2):
Die Bewegungsgleichung lautet dann:
|
(1069) |
Daraus folgt durch vektorielle Multiplikation mit dem Ortsvektor
die Drehimpulserhaltung
Damit ist auch hier die Bahn eben. Ebenso gilt der relativistische Energiesatz:
const. |
(1072) |
In beiden Erhaltungssätze werden Polarkoordinaten eingführt.
Das gibt für den Drehimpulssatz:
Statt der Zeit wird wieder das Azimuth als unabhängige Variable eingeführt:
Damit werden auch
und umgeschrieben;
wird durch den
Drehimpuls ausgedrückt :
Statt wird wieder die neue abhängige Variable eingeführt:
Das gibt letztlich:
Die neue Variable wird auch im Energiesatz eingeführt, der resultierende Ausdruck wird
quadriert und dann die vorstehende Beziehung eingesetzt.
Der obige Ausdruck wird nach aufgelöst und dann zum Quadrat ergänzt.
Dazu werden folgende Abkürzungen eingeführt:
Dabei ist zu zeigen, daß
, d.h.
ist.
Dazu wird die Definition des relativistischen Drehimpulses herangezogen:
Nach der Theorie der quadratischen Gleichungen ist der obige Ausdruck in
dann , wenn die damit gebildete quadratische Gleichung keine reelle Nullstelle aufweist.
Dies trifft aber zu, weil die Diskriminante ist:
Beim Übergang zur letzten Zeile wurde noch folgende Umformung durchgeführt:
Die obige Differentialgleichung für wird durch folgende Substitution
in eine solche für verwandelt. Letztere wird durch Ziehen der Wurzel und
Trennung der Variablen gelöst:
Geeignete Wahl von gibt:
Damit ergibt sich die endgültige Form der Bahngleichung:
|
(1073) |
mit den Parametern
Aus der Form der Bahngleichung sieht man, daß für
der
Radius immer endlich bleibt, während er für
gegen Unendlich strebt. Aus dem Ausdruck für
in der letzten Zeile ergibt sich, daß diese Unterscheidung zwischen den verschiedenen
Bahnformen wieder vom Wert der Gesamtenergie abhängt. Wegen des Hinzutretens
der Ruhenergie liegt die Grenze zwischen gebundenen und freien Zuständen nicht
mehr bei wie bei der nichtrelativistischen Lösung, sondern bei
:
Die relativistische Massenveränderlichkeit bewirkt, daß die Bahnen der
gebundenen Zustände nicht mehr geschlossen sind, es erfolgt eine Periheldrehung;
deshalb bezeichnet man diese Bahnen als Rosettenbahnen.
Mathematisch wird die Periheldrehung durch den Faktor
im Argument der cos-Funktion der obigen Bahngleichung verursacht:
1. Perihel: |
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|
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des Radiusvektors: |
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|
|
2. Perihel: |
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|
|
Für
ist
, dies entspricht einer
Drehung des Perihels um den Winkel
|
(1076) |
Aus der nichtrelativistischen Behandlung des Keplerproblems folgt:
Diese Formeln werden in die obige Formel für die Periheldrehung eingesetzt:
Abbildung:
Die Periheldrehung der relativistischen Keplerbewegung, Links: Die Bahn über mehrere
Perioden betrachtet. Rechts: Rote Bahn: Start im Perihel bis zum nächsten; blau: Verlauf vom 2.
bis zum 3. Perihel.
|
Die Periheldrehung ist umso größer, je kleiner (Merkur) und je näher
bei 1 liegt (Mars).
Die Präzession des Perihels des Planeten Merkur beträgt 5599.7/Jahrhundert.
Aus den bekannten Störungen (vor allem die Wechselwirkung der Planeten untereinander und
über die Sonne) wurde eine Periheldrehung von 5557.0/Jahrhundert berechnet.
(Cl. M. Will: Theory and experiment in gravitational physics.
Cambridge University Press 1993).
Die Differenz von 47.7/Jahrhundert war schon um 1900 bekannt und
es wurde nach einer Erklärung gesucht.
Gl. (10.77) liefert nur 1/6 dieser Differenz. Aus der
allgemeinen Relativitätstheorie folgt ein Effekt der richtigen Größenordnung
(Einstein, Dicke).
Die Bewegungsgleichung wird wie im nichtrelativistischen Fall (§3.4.3) behandelt:
|
(1078) |
Dabei wurden Gln. (10.55) und (10.57) benützt. Es ergibt sich,
daß die Gesamtenergie ,
damit auch und der Betrag der Geschwindigkeit konstant sind. Daher kann
man in Gl. (10.78) durch
dividieren:
Man kann jede Lösung der nichtrelativistischen Bewegungsgleichung (§3.4.3,
Gl. (3.11)) in
eine der relativistischen Gl. (10.78) verwandeln, indem man in der ersteren die
Masse durch die bewegte Masse
ersetzt. Insbesondere ergibt sich bei
Einschuß senkrecht zu den Feldlinien eines homogenen Magnetfeldes eine Kreisbahn mit Radius :
|
(1079) |
Je näher die Teilchengeschwindigkeit an herankommt, desto schwerer wird
das Teilchen, desto größer die Fliehkraft, deswegen wächst der Radius der
Bahn immer weiter.
Gemäß der Lichtquantenhypothese (Einstein, 1905) besteht das Licht (wie jede
elektromagnetische Welle) aus Korpuskeln (Photonen), denen eine Energie
|
(1080) |
( = Plancksches Wirkungsquantum) zukommt, und die sich mit der Geschwindigkeit
bewegen; das ist nur möglich, wenn ihre Ruhmasse ist. Compton (1923)
begründete, daß diesen Photonen auch der Impuls
|
(1081) |
( = Einheitsvektor in Richtung der Ausbreitung der ebenen Welle) zukommt.
Aus (10.53), (10.54) und (10.57) ergibt sich:
|
(1082) |
Daraus folgt mit und mit (10.80) der Betrag von (10.81).
Mittels dieser beiden Gleichungen ist es möglich, Photonen dem relativistischen Energie- und
Impulssatz zu unterwerfen und sie in die relativistische Kinematik einzubeziehen.
Der Erfolg dieser Vorgangsweise ist eine Bestätigung der Hypothesen
(10.80) und (10.81).
Abbildung 10.11:
a) Der Comptoneffekt. b) Die Paarerzeugung
[]
[]
|
Beim Comptoneffekt fallen Röntgenstrahlen der Frequenz auf fast freie, nahezu
ruhende Elektronen in einem Paraffinblock, werden an diesen zur Frequenz
gestreut und verleihen diesen eine Geschwindigkeit . Da der 1922 entdeckte Effekt
mittels des Energie- und Impulssatzes der relativistischen Mechanik hergeleitet
werden kann, bestätigt er die Vorstellungen von Gln. (10.80) und (10.81).
Der Energie vor und nach dem Stoß ist gleich:
|
(1083) |
Statt des Impulssatzes in vektorieller Form wird für die Impulse in obiger
Abb. 10.11(a) der Kosinussatz verwendet:
|
(1084) |
Wird Gl. (10.83) quadriert und davon Gl. (10.84) abgezogen, ergibt sich
m |
(1085) |
Das Experiment bestätigt die Winkelabhängigkeit der Wellenlängenänderung
und den numerischen Wert der Comptonwellenlänge des Elektrons.
Bei der Paarerzeugung wird ein Photon in ein Teilchen-, Antiteilchenpaar
(Ladungserhaltung!) (Abb. 10.11(b)) verwandelt. Diese Reaktion ist im
freien Raum nicht möglich, denn es können Energie- und Impulssatz nicht gleichzeitig
erfüllt werden:
Gl. (10.86) und die erste der Impulsgleichungen, Gl. (10.87),
widersprechen sich, da
ist.
Abbildung 10.12:
Paarerzeugung bei Anwesenheit eines dritten Teilchens
|
Die Paarerzeugung ist möglich, wenn an der Reaktion noch ein drittes Teilchen teilnimmt,
das den Impuls aufnimmt. Meist ist dies ein Atomkern, der wesentlich schwerer ist als das
erzeugte Elektron-, Positronpaar. Daher ist die Bewegung dieses schweren Partners
nichtrelativistisch.
Ruhmasse des Kerns; Ruhmasse des Elektrons, Positrons;
.
Der Impulssatz gibt:
Gln. (10.88) bis (10.90) sind ein System von 3 Gleichungen zur Bestimmung der
6 Unbekannten , , , , , . Man kann es,
z.B., so auflösen, daß man die drei
als Funktionen der drei
Streuwinkel
bekommt. Wir lösen nur den Spezialfall, daß
das leichte Teilchenpaar symmetrisch ausläuft:
(10.90) ist dann trivial erfüllt, (10.88) und (10.89) geben dann:
Die Gleichheit des ersten und dritten Terms der obigen Zeile bestätigt man durch Ausrechnen.
Für verwendet man den Ausdruck in der vorletzten Gleichung links,
den rechts. Die untersrichenen Terme dienen zur Bestimmung von .
Nach Quadrieren geben sie:
Wegen der Kleinheit von , wird obige Gleichung iterativ nach aufgelöst.
Die nullte Näherung ist:
. Die erste Näherung ist:
In dieser Näherung ergibt sich für die Energie des Elektrons (ebenso des
Positrons) und für die kinetische Energie des Kerns:
Abbildung 10.13:
Zerfall eines neutralen Pions in zwei Gammaquanten; links vom Laborsystem
aus betrachtet, rechts im Schwerpunktsystem.
|
Ein neutrales Pion (Pi-Meson) ist instabil (mittlere Lebensdauer im Eigensystem
(
s) und zerfällt hauptsächlich in zwei Gammaquanten:
Deren Energie soll berechnet werden. Das Pion läuft im Laborsystem (LS) mit
der Geschwindigkeit ein. Es ist am zweckmäßigsten, den Vorgang im Eigensystem
des Pions (SS, dort ist der Gesamtimpuls der auslaufenden Photonen Null; Abb. 10.13(b)
zu berechnen und ins LS (Abb. 10.13(a)) rückzutransformieren. Für den Energie-Impulsvektor
gelten die gleichen Lorentztransformationen (10.25) wie für den Raum-Zeitvektor:
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(1093) |
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(1094) |
Im LS: |
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(a) |
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(b) |
(1095) |
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(c) |
(1096) |
Aus (10.94a) - (10.94c) berechnet man mittels (10.93d)
- (10.93f) die Energien und Impulse der
beiden Photonen im LS und den Schwankungsbereich der Energien. Aus (10.93a) und
(10.94f) folgt der Zusammenhang zwischen und ,
aus (10.94a) der Zusammenhang zwischen dem Winkel und der
Photonenenergie.
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(1097) |
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(1098) |
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(1099) |
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(10100) |
Für die Umwandlung von Pionen in -Quanten, die durch den obigen Zerfall bewirkt wird,
läßt sich ein Wirkungsquerschnitt angeben. Das Pion hat Spin 0 und ist daher sphärisch
symmetrisch; in seinem Eigensystem gibt es keine ausgezeichnete Richtung. Daher muß der
Wirkunsquerschnitt für diese Umwandlung von den Winkeln unabhängig sein:
const.
Im Laborsystem haben die Pionen im allgemeinen eine hohe Geschwindigkeit; dadurch laufen die
-Quanten bevorzugt in die Vorwärtsrichtung; der Wirkungsquerschnitt hat dann eine starke
Winkelabhängigkeit. Diese läßt sich durch eine Lorentztransformation berechnen.
Der Winkel zwischen der Richtung der einlaufenden Pionen (= -Achse) und dem auslaufenden
-Quant wird hier mit bezeichnet und ist am Abschluss mit dem Winkel
des betrachtenten Photons zu identifizieren.
Die Lorentzkontraktion (10.34):
verändert das Volumselement folgendermaßen:
In Bezug auf das Transformationsverhalten ist
zu gleichwertig.
Wir können daher für den Raumwinkel und damit auch für den Wirkungsquerschnitt
folgende Umrechung von Pioneigensystem in das Laborsystem vornehmen:
Nun gilt aber:
Aus den beiden vorhergehenden Gleichungen folgt nun für den Wirkungsquerschnitt des
Zerfalls
im Laborsystem:
|
(10101) |
Die Abbildungen 10.14 zeigen, daß der differentielle Wirkungsquerschnitt im
Laborsystem Maxima in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung aufweist; diese nehmen mit steigender
Energie zu.
Der integrale Wirkungsquerschnitt hat im LS den gleichen Wert wie im SS, wie es sein
muß:
Abbildung 10.14:
Der differentielle Wirkungsquerschnitt des Zerfalls
im Laborsystem.
|
LITERATUR:
L. Bergmann, Cl.Schäfer: Lehrbuch der Experimentalphysik III (Optik), Kap.IX.
(deGruyter, 6. Aufl., Berlin 1974)
M.Born: Die Relativitätstheorie Einsteins (Heidelberger Taschenbuch)
A.Einstein: Über spezielle und allgemeine Relativitätstheorie
(Sammlung Vieweg)
E. Schmutzer: Relativitätstheorie aktuell. Teubner Studienbücher 1996.
Cl.Schäfer: Einführung in die theoretische Physik III1, Kap.14 (de Gruyter)
R.Becker, F.Sauter: Theorie der Elektrizität, Kap. E (Teubner)
J.H.Smith: The Theory of Relativity (Benjamin 1965)
R.U.Sexl, H.K.Urbantke: Relativität, Gruppen, Teilchen; Kap. 1,2
(Springer Verlag 1976)
R.K.Pathria: The Theory of Relativity
(Pergamon Press 1974)
W. Lucha, M. Regler: Elementarteilchenphysik, Theorie und Experiment. Schulbuch- und Lehrmittelverlag
Paul Sappl, Kufstein 1997.
Christian Sommer
2003-01-27